Ende 2022 hat die Fraktion DIE LINKE im Bundestag eine sogenannte „Kleine Anfrage“ zum Thema Harm Reduction und Liquidbesteuerung an die Regierung gestellt. Mit diesem Instrument können Fraktionen oder Abgeordnete schriftlich Fragen an die Bundesregierung richten, welche ebenfalls schriftlich beantwortet werden. Dieses Antwortschreiben liegt seit ein paar Tagen vor und zeugt sowohl von großer Gleichgültigkeit gegenüber den Konsumenten als auch mangelnder Fachkompetenz.
Im folgenden werden nicht alle Fragen und Antworten der Kleinen Anfrage besprochen, sondern diejenigen, welche besonders herausstechen. Anfrage und Antwort kann man hier im Volltext nachlesen.
Bei Frage Nr. 1 zum möglichen Änderungsbedarf der Besteuerung von Liquids gibt die Bundesregierung an, sie würde den Markt kontinuierlich evaluieren, einen Änderungsbedarf erkenne man selbst nicht. Bedenkt man, dass weite Teile der Liquidproduktion entweder geschlossen oder ins Ausland ausgewichen sind und wir uns im Fachhandel bereits einer beispiellosen Schließungswelle gegenüber sehen ist das eine recht bemerkenswerte Einschätzung. Bedenkt man zudem die erheblichen Ausfälle gegenüber den erwarteten Einnahmen in diesem Bereich dürfte es sich bei der Behauptung der Marktevaluation um eine glatte Lüge handeln.
Bei Frage Nr. 9 geht es um die Studienlage zur Bioverfügbarkeit und Nikotinaufnahme im Vergleich von Rauchen und Dampfen. Hier windet sich die Bundesregierung um die Frage herum und raunt etwas von unterschiedlichen Gerätetypen und Einstellungen. Der eigentlichen Frage zum Unterschied von Rauchen und Dampfen weicht sie dabei aus und verweist dabei auf eine Studie, die mit der eigentlich gestellten Frage nichts zu tun hat.
Bei Frage Nr. 10 und 11 geht es um die Steuerbelastung und Gesundheitsbelastung durch Zigarren, Zigarillos und Feinschnitt im Vergleich zu E-Zigaretten. Die Bundesregierung führt an, dass Zigarren und Zigarillos deshalb steuerlich bevorteilt werden, weil sie in Konsumform und -frequenz nicht mit Zigaretten vergleichbar wären, E-Zigaretten dagegen schon. Feinschnitt soll gegenüber Import- und Schwarzmarktzigaretten eine Pufferfunktion durch seinen niedrigen Preis erfüllen. Die Bundesregierung geht dabei nicht davon aus, dass der Konsum von Zigarren, Zigarillos oder Feinschnitttabak weniger schädlich wäre als der Konsum von E-Zigaretten. An dieser Stelle zeigt sich sehr deutlich der menschenverachtende Zynismus, den Tabaklobbyisten dem Gesetzgeber da in die Feder diktiert haben. Diesen Preispuffer gegenüber dem Zigarettenschwarzmarkt hätte die E-Zigarette flankiert von anderen schadensreduzierten Nikotinprodukten eben auch bilden und dabei hunderttausende aus dem tödlichen Kreislauf des Rauchtabakkonsums herauslösen können.
Richtig verrückt wird es bei Frage 15 zur Frage des Preisanstieges bei Basen, bei der die Bundesregierung im Grunde zur Steuerhinterziehung rät. Zur Frage des Preissprunges von aktuell 7 bis 15 € für einen Liter Base auf mindestens 200 € im ersten Steuerschritt und mindestens 400 € im letzten Steuerschritt gibt die Bundesregierung an, die Preisgestaltung obliege den Wirtschaftsbeteiligten. Diese unverschämte Ignoranz muss man sich wirklich mal auf der Zunge zergehen lassen, dass bei über 90% Steueranteil am Gesamtpreis noch eine freie Preisgestaltung stattfinden könnte. Aber es wird sogar noch verrückter. Anschließend führt die Regierung nämlich aus, dass es sich dabei ja nicht um zu konsumierende Substanzen handeln würde, sondern um Mischkomponenten, die zur individuellen Selbstfertigung dienen würden. Der Konsument könne dabei die steuerliche Belastung des individuell hergestellten Fertigproduktes stark beeinflussen. Für den Kontext sei hier erwähnt, dass die Generalzolldirektion auch auf mehrfache Nachfrage durchgehend dazu angegeben hat, dass auch Vorprodukte jeglicher Art bei entsprechender Zweckbindung als Substitute der Tabaksteuer unterfallen. Die einzige echte Einflussmöglichkeit wäre der Kauf der entsprechenden Produkte ohne Zweckbindung und damit unterm Strich eine Steuerhinterziehung. Entsprechend liest sich die Antwort der Bundesregierung bezüglich der starken Einflussfaktoren auf die Steuerhöhe wie eine Aufforderung zu eben einer solchen Steuerhinterziehung. Oder sie widerspricht sich einfach selbst, denn in der Antwort auf die später folgende Frage Nr. 19 spricht man dann sehr wohl von einer Strafbarkeit. Dann wären die Ausführungen zu den Einflussmöglichkeiten der Konsumenten allerdings eine glatte Lüge.
Bei Frage Nr. 16 geht es um die mögliche erdrosselnde Wirkung der Steuer wegen der immensen Verteuerung. In ihrer Antwort spricht die Bundesregierung von einer gewollten Lenkungswirkung, wie zum Beispiel bei Alkopos. Auch hier lohnt ein zweiter Gedanke. Während Rauchtabak, der alleine in Deutschland jedes Jahr 120.000 Todesopfer fordert nur in minimalen Dosen um wenige Cent verteuert, schlägt man bei Liquids für E-Zigaretten mächtig zu. Die Lenkungswirkung entfaltet sich in diesem Fall klar in Richtung Rauchtabakkonsum. Das ist nicht nur eine gesundheitspolitische Bankrotterklärung, sondern wirft auch ein politisches Schlaglicht auf das Zustandekommen des entsprechenden Gesetzes in erheblich zu großer Nähe mit der Tabakindustrie.
Bei Frage Nr. 18 geht es ebenfalls noch um die mögliche erdrosselnde Wirkung der Besteuerung. Die Bundesregierung gibt an dieser Stelle an, sie hätte eine „moderate Tarifhöhe gewählt, um unangemessene Marktverwerfungen zu vermeiden“, was an Zynismus kaum zu überbieten sein dürfte.
Bei Frage Nr. 23 geht es um die mögliche Besteuerung von Wasser. Die Bundesregierung bestätigt hier noch einmal deutlich die Position der Generalzolldirektion, die viele wegen ihrer großen Absurdität kaum glauben wollten. Ja, Wasser kann tabaksteuerpflichtig sein.
Bei Frage Nr. 25 geht es um die Erfahrungen mit gleichartigen Besteuerungsprojekten in anderen Staaten der EU. Obwohl sowohl wir als Konsumentenverband, als auch andere Verbände deutlich auf Negativbeispiele wie z.B. Italien oder Ungarn verwiesen haben und die Bundesregierung z.B. bei der Antwort auf Frage Nr. 18 weitschweifig ausführt, Experten und Verbände angehört zu haben, gibt sie hier an, dass ihr keine Kenntnisse vorliegen. Da stellt sich schon die Frage, ob hier bei der Antwort auf die Kleine Anfrage absichtlich gelogen wird oder die Äußerungen der diversen Verbände im Gesetzgebungsprozess, den Regulierungswünschen der Tabakindustrie im Weg standen.
Bei Frage Nr. 29 geht es um die erwarteten und tatsächlichen Einnahmen durch die Besteuerung von Substituten (Liquids und Vorprodukte). Erwartet hatte man für 2022 Einnahmen von 108 Millionen Euro. Obwohl es sich selbst hierbei bereits eine im Nachhinein nach unten korrigierte Schätzung handelt, wird diese mit tatsächlichen Einnahmen von 41 Millionen Euro noch einmal sehr deutlich unterschritten. Die an anderer Stelle im Antwortschreiben immer wieder angeführten Marktbeobachtungen mit der Option einer Anpassung dürften im Lichte dieser Zahlen wohl getrost als Farce betrachtet werden. Die Einnahmenziele werden genau so verfehlt, wie es Experten und Verbände (auch wir) vorher klar vorausgesagt haben!
Bei Frage Nr. 33 geht es um die nicht vorhandene steuerliche Unterscheidung zwischen Wegwerfprodukten und anderen Substituten. Die Antwort könnte einen fast zum Lachen bringen, wenn es nicht so verdammt traurig wäre. Die Bundesregierung gibt an, dass die „Zielsetzung eine verständliche und möglichst bürokratiearme Besteuerungsgrundlage zu schaffen“ bestand. Das lassen wir an der Stelle einfach mal so ironiefrei stehen.
Bei Frage Nr. 34 wird es wieder richtig herb, es geht um die Nachbesteuerung von Altware in Konsumentenbesitz. Die Bundesregierung bestätigt hier nicht nur noch einmal, dass Bestände zu Hause tatsächlich ab dem 13. Februar 2023 steuerfällig werden, sondern erlaubt sich auch noch die Posse anzugeben, dass diese Nachversteuerung von privater Ware in die Einnahmenschätzungen mit berücksichtigt worden wären. Wir haben da ja eher milde Zweifel, dass jetzt Anfang Februar 3 Millionen Konsumenten die Zollämter überrennen.
Fazit
Wir danken der Fraktion DIE LINKE, dass wir an den Fragen fachlich mitarbeiten durften. Für entsprechende fachliche Beratung stehen wir gern allen Fraktionen im Bundestag zur Verfügung. Leider zeigt sich im Ergebnis, dass von der scharfen Kritik an der Vielzahl handwerklicher Fehler und grober Ungerechtigkeiten durch die damaligen Oppositionsparteien und jetzigen Regierungsparteien FDP und Grüne nichts mehr übrig zu sein scheint. Insbesondere bei der Frage der Vorprodukte und der privaten Nachversteuerung hätte man Lösungen finden können und müssen.
So wie es jetzt kommt gibt es nur einen einzigen Gewinner, die Konzerne der Tabakindustrie, die sich über die Lenkungswirkung hin zum umsatzstarken Rauchtabak sicher freuen dürften. Da haben sich die zahllosen Hinterzimmergespräche im damals von Olaf Scholz geführten Finanzministerium wirklich ausgezahlt.
Über steigende Raucherraten sollte man sich dann aus Regierungskreisen aber lieber nicht beschweren.
bvra
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