Aromenverbote: Politik vs. Wissenschaft

Politik versus Wissenschaft bei Aromenverboten für E-Zigaretten

Am 25. September 2023 fand unter dem Leitthema „Aromenverbote in E-Zigaretten – Schädlich oder nützlich für die Rauchprävention“ eine Hybridveranstaltung in Berlin statt. Ausrichter war die Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht (ZLR). Simon Bauer nahm online an der Konferenz für den BVRA teil.

Dr. Farsalinos: Aromen steigern die Akzeptanz bei der Rauchentwöhnung

Den Anfang machte der Mediziner und international renommierte Forscher im Bereich E-Zigarette Dr. Konstantinos Farsalinos mit einem Impulsvortrag zur Schadensminimierung durch E-Zigaretten und der Bedeutung von Aromen. Anhand aktueller Erhebungen der US Gesundheitsbehörde CDC zeigte er auf, dass die breite Aromenvielfalt etwa 2.3 mal häufiger zum Rauchstopp führt als Tabakaromen. Er wies dabei auf das spannende Detail hin, dass ehemalige Tabakraucher eher zu Aromenvielfalt tendieren als sog. Dual-User, bei denen die Nutzung von Tabakaromen etwas darüber liegt. In beiden Fällen stellen die Nutzer reiner Tabakaromen aber eine sehr kleine Minderheit, nur etwa einer von zehn Nutzern tendiert in diese Richtung. Entsprechend warnte er davor, dass ein Aromenverbot einem Produktverbot entspräche und dieses nur Gefahren des Schwarzmarktes (wie z.B. EVALI) provoziere.

Aus der Sicht von Dr. Farsalinos gibt es bei Hilfsmitteln zum Rauchstopp zwei grundsätzliche Faktoren: Sicherheit und Akzeptanz. Während Nikotinersatzprodukte aus der Apotheke eine sehr hohe Sicherheit haben, geht ihre Akzeptanz bei aufhörwilligen Rauchern gegen null. Als Gegenbeispiel nannte er Snus in Schweden, welches vor allem durch seine breite Akzeptanz besonders effektiv sei und Schweden so zum ersten rauchfreien Land (Raucherrate unter 5%, nach WHO) der Welt gemacht habe.

Anhand der Zahlen aus über einem Jahrzehnt konnte Dr. Farsalinos aufzeigen, dass es weder durch Aromen noch allgemein durch E-Zigaretten zu einem Gateway ins Rauchen kommt. Seit ihrem Markteintritt sind international gut vergleichbare Raucherraten und vor allem Jugendraucherraten kontinuierlich gesunken, bisweilen sogar sichtbar schneller als zuvor.

Auf entsprechende Nachfragen aus dem Publikum führte er aus, dass er bei Menthol absolut kein Problem sehe und man bei Sucralose Hinweise aus dem Lebensmittelbereich habe, aber noch weitere Studien abwarten müsste, weil die Bedingungen nicht vollständig vergleichbar seien. Dazu dürfte man nicht vergessen, dass viele Stoffe, die kritisch diskutiert werden in hundert-, teilweise tausendfacher Dosis in legalen Verbrennungszigaretten enthalten seien und man entsprechend nicht die Relationen außer Acht lassen darf. Als Beispiel nannte er Diacetyl und die entsprechende Debatte darum.

Ganz grundsätzlich sieht er es so, dass es eigentlich albern ist nach über einem Jahrzehnt und Abermillionen von E-Zigaretten Nutzern über starke Toxizität von Inhaltsstoffen zu diskutieren. Entsprechende Effekte hätte man schon lange sehr deutlich gesehen, wie es z.B. bei EVALI der Fall war.

Angesprochen auf das TCS Rating warnte Dr. Farsalinos davor, die zu erfüllenden Punkte zu überbewerten, da diese nur sehr grob seien und teilweise keine bis wenige Effekte in der Realität zeigen würden. Schweden sei als erstes rauchfreies Land der Welt nur im Mittelfeld des europäischen TCS Ratings, weil es nur etwa die Hälfte der FCTC Vorgaben umgesetzt habe. Die Türkei dagegen hat alle Vorgaben zu 100% erfüllt aber eine mehr als 5 mal so hohe Raucherrate, welche in den letzten Jahren sogar weiter stieg. Auch Japan z.B. hätte ohne Umsetzung auch nur eines Bruchteils der Maßnahmen und ohne jegliche staatliche Unterstützung beim Rauchstopp seine Raucherraten in den letzten Jahren um ein Drittel gesenkt. Dort sorgten Tabakerhitzer als risikoreduziertes Alternativprodukt für einen Marktumbruch.

Seine Empfehlung an die Politik war lieber Verpackungen und Marketing zu regulieren als Aromen.

Prof. Stöver: Harm Reduction ist ein Schlüsselfaktor bei der Tabakkontrolle

Danach hielt der bekannte Frankfurter Suchtforscher Prof. Dr. Heino Stöver einen Vortrag zu den möglichen Folgen eines Aromenverbotes für E-Zigaretten in Deutschland.

Direkt zu Beginn seines Vortrages wies Prof. Stöver auf die außergewöhnlich hohe Rauchprävalenz von 34% in Deutschland und damit verbundene hohe Mortalität hin. Ursächlich ist für ihn vor allem das Fehlen einer abgestimmten bundesweiten Tabakkontrollstrategie, wie sie z.B. Frankreich oder das vereinigte Königreich haben. Diese beiden Länder avisieren Rauchfreiheit (weniger als 5% Raucher) für das Jahr 2030 an und werden das laut Stöver wohl auch schaffen, auch weil beide Länder konsequent die Harm Reduction in ihre Strategien einbinden. So gibt das Vereinigte Königreich z.B. aktuell im Rahmen des Programms „swap to stop“ 1 Million E-Zigaretten kostenlos an Raucherinnen und Raucher aus sozial benachteiligten Verhältnissen ab, um so die Raucherzahlen zu senken. Gleichzeitig ist Deutschland Weltmeister bei Zigarettenautomaten, es gibt 340.000 Stück. Hierzulande hat man sich 2040 als Ziel für ein rauchfreies Land gesetzt, am Gelingen bestehen jedoch ernsthafte Zweifel.

Ohne schlüssige Tabakkontrollstrategie fehle es nicht nur an zielgerichteten, tatsächlich wirksamen Maßnahmen, es fehle auch an ausreichenden wissenschaftlichen Mitteln. Als besonders problematisch bewertete Stöver die sehr einseitige Fixierung auf Abstinenz. Dabei gäbe es genug positive Vorbilder für Harm Reduction Ansätze, das Vereinigte Königreich hat eine Raucherrate von nur 13%, Schweden sogar von unter 5%. In beiden Fällen lassen sich die Erfolge bei der Bekämpfung des Rauchens auch auf Harm Reduction Ansätze zurückführen.

Laut Prof. Stöver halten zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland die E-Zigarette für genau so schädlich oder schädlicher als Tabakzigaretten. Trotz dieser Fehlwahrnehmung hören erheblich mehr Menschen mit Hilfe der E-Zigarette auf zu rauchen als mit Nikotinersatzprodukten aus der Apotheke.

Aromenverbote hält Stöver für nicht zielführend und auch in der Praxis absolut nicht durchsetzbar. In Estland und Dänemark gibt es entsprechende Einschränkungen, ihre Akzeptanz ist klein und große Teile des Marktes haben sich auf den Schwarzmarkt verschoben. Auf Nachfrage bei entsprechenden Nutzern würde die überwältigende Mehrheit angeben, dass es kein Problem darstellt an  der Regulierung vorbei an die entsprechend Waren zu gelangen.

Das bemerkenswerteste Ereignis war jedoch ein zorniger Einwurf der SPD Bundestagsabgeordneten Hagl-Kehl aus den Publikumsrängen. Als Prof. Heino Stöver ausführte, dass aktuell nichts in der politischen Pipeline wäre, um aktuelle Probleme zu adressieren rief sie dazwischen, ob er denn im Bundestag sitzen würde und woher er das denn überhaupt wissen wolle. Prof. Stöver konterte ruhig, er hätte erst vor 2 Wochen mit dem Bundesdrogenbeauftragten gesprochen und weder dieser noch sein Büroleiter hätten aktuelle Planungen angedeutet, woraufhin Frau Hagl-Kehl eisig erwiderte, dass dieser ja auch nicht im Bundestag säße. Auf Prof. Stövers Nachfrage, was denn in der Pipeline wäre und ob sie das nicht bei dieser Gelegenheit vorstellen wollte, gab es leider keine Antwort mehr. Was blieb war der Eindruck, dass sich hier eine anderweitige Meinungsverschiedenheit kurz Bahn gebrochen hatte.

Anwesende Politiker offenbarten deutliche Informationsdefizite

Nach den beiden Vorträgen und den zugehörigen Fragen aus dem Publikum mussten beide Referenten zu einem Anschlusstermin weiterreisen. Die anschließende Podiumsdiskussion wurde von den Mitgliedern des Bundestages Rita Hagl-Kehl (SPD) und Hans-Jürgen Thies (CDU) sowie dem Toxikologen Dr. Fabian Steinmetz (Schildower Kreis) und Stefan Götz (BVTE) bestritten. Moderiert wurde die Veranstaltung vom Rechtsanwalt Dr. Carl von Jagow.

Auf Nachfrage des Moderators zu Wegwerfgeräten erklärte Frau Hagl-Kehl, sie sähe aktuell keine politische Handhabe, um den Jugendkonsum bei Wegwerfgeräten einzudämmen, bevor 2027 die entsprechenden Regelungen der EU zu Disposables in Deutschland greifen. Zur Frage der Jugendnutzung behauptete sie dann, auch wiederholt auf Nachfrage, das alles sei eine große Gefahr, weil  Nikotin schließlich erwiesenermaßen ursächlich für Herz- Kreislauferkrankungen wäre – eine häufig anzutreffende Fehlwahrnehmung in Verwechslung mit Raucheffekten insgesamt.

Herr Thies könnte sich aus seiner Sicht eine Positivliste mit Menthol- und Tabakaromen vorstellen, aber eher nicht Frucht. Er glaubt, dass das Produkt E-Zigarette damit immer noch attraktiv genug wäre. Zu Werbeverboten und der Frage, inwieweit man die geringere Schädlichkeit von E-Zigaretten gegenüber Verbrennungstabak überhaupt noch kommunizieren könne, sagt er, die Branche sei kreativ genug und würde immer Wege finden. Ein Beispiel sei diese Veranstaltung, die ja im Grunde eine Werbeveranstaltung wäre und dass es ja auch Vereine gäbe, die nur getarnt Werbung machen würden. Er rang dann um einige nicht zusammenhängende Begriffe, sprach von Namensgebungen wie tabakfrei, gemeint war offenbar der Branchenverband BfTG.

Dr. Steinmetz: Verhältnismäßigkeit wahren und wissenschaftliche Evidenz beachten

Anschließend sprach der Toxikologe Fabian Steinmetz, der damit begann die zuvor teils recht wilden Statements wissenschaftlich einzuordnen. Steinmetz stellte nachdrücklich klar, dass er sich nicht auf einer Werbeveranstaltung wähnt, er selber, wie auch Heino Stöver, nicht irgendwelche geheimen Finanzierungen hätten, sondern sich der Wissenschaft verpflichtet fühlen. An Frau Hagl-Kehl gerichtet führte er aus, dass Nikotin keine Tabakpathologien verursacht. An Herrn Thies richtete er die nachdrückliche Warnung, dass man die Attraktivität von Alternativprodukten zum Rauchen nicht herunterspielen solle, Aromen hätten da einen wichtigen Anteil und Rauchen sei schließlich das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko.

Nachdem Frau Hagl-Kehl immer wieder auf besorgniserregende Messergebnise vom „Deutschen Krebsforschungsinstitut“ (gemeint war offenbar das Deutsche Krebsforschungszentrum DKFZ) anspielte, warnte Dr. Steinmetz davor, aus wissenschaftlicher Unkenntnis heraus, zu falschen Schlussfolgerungen zu gelangen. Es gäbe insgesamt eine gute Studienlage zu Aromen, nur ein kleiner Anteil von diesen sei ggf. interessant wegen der Erhitzung. Man muss aber auch dabei aufpassen, dass man nicht panisch reagiere. Die Testmodelle bei Tierversuchen sind nicht 1:1 auf Menschen übertragbar, man muss die Verhältnismäßígkeit beachten. Es gibt laut Dr. Steinmetz keine starken epidemiologischen Daten, dass es da ein Problem mit legalen E-Zigaretten gibt. Bei EVALI habe man das z.B. sofort gesehen, dass es da ein Problem gibt. Grundsätzlich könnte man einige Stoffe verbieten, aber ggf. sind Grenzwerte sinnvoller, weil die entsprechenden Konzentrationen eben auch sehr gering sind. Die wissenschaftliche Evidenz gibt noch lange nicht genug für eine belastbare Positivliste her und würde 80% des aktuellen Aromenmarktes vernichten.

Herr Thies zieht daraufhin einen Vergleich zu den Zulassungsverfahren für Tierfutter oder Pflanzenschutzmittel, welche bisweilen viele Jahre dauern. Dr. Steinmetz entgegnete darauf, dass ja Verbrennungszigaretten mit all ihren Giftstoffen legal auf dem Markt wären. Einen Stoff zu identifizieren reiche einfach nicht, entscheidend sei immer die Menge.

Branchenvertreter Götz: Derzeitige Liquids sind stark reguliert und haben einen hohen Qualitätsstandard

Stefan Götz (BVTE) warten davor, dass Aromeneinschränkungen zu Marktverwerfungen führen können. Die beliebtesten Aromen sind Früchte und Süßes, bei einem Verbot weichen Kunden auf den Schwarzmarkt oder das Ausland aus. Derzeitige Liquids am Markt seien bereits stark reguliert und haben jetzt schon einen hohen Qualitätsstandard, den sich die Branche in den letzten Jahren hart erarbeitet hat. Die Politik trägt Verantwortung dafür, wenn Kunden wegen Aromenverboten unregulierte Produkte kaufen, dann sei es nur eine Frage der Zeit, bis zu einer Neuauflage der EVALI Krise. Aromen stellten einen wichtigen Faktor für ehemalige Raucher dar, um nicht rückfällig zu werden. Die E-Zigarette sei nachweislich die erfolgreichste Möglichkeit, mit dem Rauchen aufzuhören. Diese Erfolge würde man mit einem Aromenverbot aufs Spiel setzen. Im Angesicht der Tatsache, dass Jugendliche nur einen kleinen Bruchteil der E-Zigarettennutzer ausmachen, würde eine Aromenregulierung das Produkt E-Zigarette vor allem für Erwachsene unattraktiv machen und den entsprechenden Markt in Deutschland zerstören, für den Jugendschutz gäbe es sicher bessere Lösungen.

 

Zur Abmoderation bat der Moderator Dr. von Jagow die Teilnehmer um ein abschließendes Statement. Alle waren sich darin einig, dass man die E-Zigarette nicht so weit beschränken wolle, dass sie als Alternative zum Tabakrauchen wegfallen würde.

Herr Götz bekräftigte noch einmal nachdrücklich, dass ein Aromenverbot einem Produktverbot am Markt gleichkäme. Frau Hagl-Kehl sprach sich für eine Positivliste statt der aktuellen Negativliste für Aromenregulierung aus und Herr Thies könnte sich ein strenges Pfandsystem vorstellen.

 

Artikel ergänzt am 30.09.2023 um 21:50 Uhr

Aromenverbote: Politik vs. Wissenschaft
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Der BVRA e. V. ist ein unabhängiger Konsumentenverband. Wir setzen uns ein für die Tobacco Harm Reduction und eine Beurteilung aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse.

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