Dies war der Titel der 6. Fachtagung der Frankfurt University of Applied Sciences – Institut für Suchtforschung (ISFF) am 18.10.2023 unter der Leitung von Prof. Heino Stöver. Es ging um die Bedeutung von Tobacco Harm Reduction, also die Minimierung der Schäden, die durch das Rauchen von Tabak verursacht werden. Einen Ansatz, den die WHO seit Jahren vehement zu verdrängen versucht. Für den BVRA war Markus Ense vor Ort dabei.
Geprägt war diese Veranstaltung vom Blick über unsere Landesgrenzen hinaus. Welche Wege gehen andere Staaten, deren Raucherquote weit unter derjenigen Deutschlands liegt (derzeit etwa 34 % der Bevölkerung nach DEBRA)? Wie haben sie es geschafft, ihre Raucherquote auf teils unter 5% (Schweden) zu drücken? Und was kann Deutschland davon lernen?
Der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen Burkhard Blienert (SPD) wurde eingeladen, ein Grußwort zu sprechen. Er kam dieser Einladung nicht nach. Auffällig bei Herrn Blienert ist die große Diskrepanz zwischen seinen Worten und Taten beim Thema Rauchen. Seine Amtszeit angetreten hat er mit dem Versprechen eines Paradigmenwechsels und einerseits sei ihm angeblich bewusst, dass eine Verbotskultur in der Regel nichts bringe und man einmal neue Wege gehen müsste, andererseits waren seine Postings zum Weltnichtrauchertag am 31. Mai 2023 geprägt von Verbotsforderungen (weitergehende Werbeverbote, Aromenverbote, Disposables sowieso). Und er schoss sich auf die E-Zigarette ein – kein Wort zu Tabakprodukten am Weltnichtrauchertag. Aus dieser Warte betrachtet war sein Nichterscheinen schon fast wieder konsequent.
Dr. phil. Bernd Werse: Die RauS-Studie
Die Rauchstopp-Studie (RauS) untersuchte verschiedene Methoden, mit dem Rauchen aufzuhören. Es war eine Befragungsstudie mit insgesamt 6.192 Teilnehmern (bereinigt). Sie wurde maßgeblich von Dr. Werse (Goethe-Universität Frankfurt) und Prof. Stöver durchgeführt und ist komplett aus Eigenmitteln des ISFF finanziert. Dr. Werse stellt die zentralen Ergebnisse vor.
Einleitend stellte er fest, dass das Thema Shisha bei Jugendlichen mit abnehmender Tendenz zu verzeichnen ist. Die Methode des Rauchstopps, die mit 60% die meistgenannte war, ist die eigene Willenskraft. Allerdings ist dieser Prozess ein Weg mit mehreren Versuchen, auf Anhieb gelingt das kaum jemandem. Die Rückfallquote ist entsprechend hoch. Nur insgesamt 13% der Befragten gaben an, mit S-3 leitlinienkonformen Nikotinersatzprodukten, Beratungen oder Medikamenten den Ausstieg geschafft zu haben.
Das größte Hemmnis beim Rauchstopp sei die Ritualisierung. Also die Zigarette zum Kaffee oder Bier, in der Mittagspause, nach dem Essen, in Gesellschaft. Genau da aber setzt die E-Zigarette an. Sie erlaubt die Beibehaltung der schwer abzulegenden Rituale ohne die schädlichen Stoffe des Rauchtabakkonsums.
Prof. Dr. Bernd Mayer: Nikotinbeutel
Der Toxikologe Prof. Dr. Mayer von der Universität Graz (Österreich) stellte als Ausstiegsoption die Nikotinbeutel (Pouches und Snus) vor. Die Nikotinaufnahme wird über langsame Abgabe des Stoffes über die Schleimhäute und den Speichel im Mund realisiert. Eine Verbrennung oder Erhitzung findet nicht statt. In Schweden geht der Rückgang der Raucherquote evident mit der Zunahme des Absatzes von Snus einher.
Strikte Antirauchergesetze sind dagegen nicht ursächlich mit der Absenkung der Raucherquote verknüpft. Das zeigen viele Beispiele in der Welt. Zum Beispiel hat die Türkei alle WHO FCTC Empfehlungen umgesetzt, hat aber mit über 30% genau wie Deutschland eine im internationalen Vergleich sehr hohe Raucherrate. Stattdessen sei eine separate Klassifizierung der unterschiedlichen Produkte in der Regulierung erforderlich. Es ist unrealistisch, alle Produkte mit Rauchtabak gleichzusetzen.
Als kleines Bonmot gab er noch das unerklärliche Verschwinden einer Grafik zum Besten. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hatte auf seiner Website bis vor kurzem eine Grafik, die die Schädlichkeit verschiedener Mittel im Vergleich zur Tabakzigarette bildlich darstellte. Erwartungsgemäß hatte der Rauchtabak den mit Abstand höchsten Wert, aber Snus/Pouches einen im Vergleich dazu extrem kleinen Wert. Im Begleittext wurde auf diese Abbildung verwiesen, aber sie war nicht mehr online. Nachdem Herr Mayer das BfR darauf aufmerksam machte, wurde nicht etwa die Grafik wieder eingesetzt, sondern einfach der Text um den fraglichen Passus gekürzt. (Anm. d. Red.: Man könnte das auch als Unterschlagung wissenschaftlicher Erkenntnisse werten!)
Dr. Leonie Brose: Tabakkontrolle in U.K.
Seit Jahren sinkt die Zahl der Raucher in Großbritannien stetig. Ende 2022 lag die Quote bei 12,9% – Tendenz fallend. Bis 2030 will die Regierung die magische Marke von 5% erreicht haben, um nach Definition der WHO als rauchfrei zu gelten. Das Ziel hat weltweit bisher nur Schweden erreicht. Das Vereinigte Königreich setzt dabei auf alle verfügbaren Alternativen und zugleich drastische Kosten für Tabakzigaretten (Markenzigaretten sind mit fast 14,50 pro Packung mehr als doppelt so teuer wie in Deutschland) – und der Preis soll weiter steigen.
In dem weltweit einzigartigen Programm Swap-to-Stop werden 1 Million Raucher dazu aufgefordert, ihre Tabakzigaretten gegen die E-Zigarette umzutauschen. E-Zigaretten haben für die britische Regierung ein enorm hohes Potential, den Rauchstopp auch wirklich zu schaffen. (Anm. d. Red.: Das Gesundheitssystem wird in U.K. aus öffentlichen Mitteln finanziert und nicht aus Beiträgen wie in Deutschland. Dadurch ist ein viel höherer Anreiz gegeben, Gelder durch vermeidbare Krankheitskosten einzusparen.)
Auf Nachfrage äußerte sich Frau Dr. Brose (King’s College, London) zum Einfluss des Brexit auf die Gesundheitspolitik im Land. Der Brexit hatte in dieser Frage keinerlei Auswirkungen. Allerdings sei das Erreichen des Zieles Rauchfrei bis 2030 eher unwahrscheinlich.
Dietmar Jazbinsek: Smokefree New Zealand 2025
Der freie Journalist Dietmar Jazbinsek beschäftigte sich mit der aktuellen politischen Entwicklung in Neuseeland und dem Einfluss auf den bisher eingeschlagenen Weg für das Ziel Rauchfrei bis 2025. Im Jahr 2020 führte die damalige Regierungschefin Jacinda Ardern von der Labour Party (vergleichbar mit Sozialdemokraten) mit unkonventionellem Führungsstil durch mehrere Krisen und die Covid Pandemie. Sie stand für Menschlichkeit in der Politik, Erneuerung und Innovation. Anfang 2023 trat sie jedoch von ihrem Amt zurück. Am 14. Oktober fanden Neuwahlen statt und die bisher satte Mehrheit der Labours ging mit einem erdrutschartigen Minus von 23,11% deutlich verloren. Stärkste Kraft ist nun die National Party (die Konservativen). Und diese steht den eingeleiteten Regulierungen zur Tabakkontrolle und der E-Zigarette eher ablehnend gegenüber. Doch sie können nicht alleine regieren und mögliche Koalitionspartner haben in der Frage durchaus andere Vorstellungen.
Es ist so kurz nach der Wahl noch zu früh eine Prognose zur Tabakkontrolle abzugeben. Die Lager sind tief gespalten und die Sondierungsgespräche laufen jetzt erst an. Selbst eine Beteiligung der Labours an der Regierung ist nicht unmöglich, trotz der starken Verluste. Nach Jazbinsek ist die neuseeländische Tabakkontrollpolitik nicht unbedingt ein Modell für den Rest der Welt. Genauso wenig, wie die deutsche Klimaschutzpolitik eine Blaupause für den Rest der Welt sein kann, obwohl wir technisch in Sachen Klimaschutz durchaus Weltmarktführer sind.
Prof. Dr. Martin Storck: Ist Dual-Use ein relevanter Faktor?
Zunächst bemerkte Prof. Storck (Direktor der Klinik für Gefäßchirurgie in Karlsruhe), dass es bisher keine Definition des Begriffes Dual-Use gibt. Der zeitgleiche Gebrauch von Tabak- und Alternativprodukten ist sehr unterschiedlich und kann nicht pauschal betrachtet werden. Vom Add-Use (zum bisherigen Tabakkonsum noch zusätzlich dampfen) bis zur drastischen Reduktion der Tabakzigarette ist alles vorhanden. Seine Erfahrung als Klinikleiter fasste er in dem Satz zusammen: „Alles, wo kein Tabak verbrannt wird, ist besser!“
Die Studienlage hat sich in den letzten Jahren rasant verbessert. Der Guideline der AHA/ACC von 2023, also die Leitlinien der American Heart Association und des American College of Cardiology, anerkennt inzwischen die Wirksamkeit der E-Zigarette als Ausstiegsoption, gerade im Vergleich zu konventionellen Nikotinersatzprodukten. Und er wird an einer Stelle besonders deutlich: Durch heute bekannte neue Studien muss die kommende S3-Leitlinie zu Rauchen und Tabakabhängigkeit (für behandelnde Ärzte) umformuliert und neu angepasst werden.
Dr. Fabian Steinmetz: Stand der Diskussion um Aromen
Dr. Steinmetz führte aus, dass es sich bei Nikotinabhängigkeit um einen biopsychosozialen Effekt handelt. Der Stoff Nikotin allein bewirkt gewisse biologische Effekte, aber zur Abhängigkeit müssen noch psychologische und auch soziale Komponenten des Konsumenten mit einbezogen werden. Aromenverbote erschweren seiner Meinung nach einen möglichen Umstieg auf schadensminimierte Produkte. Die Verringerung der Attraktivität auf Jugendliche sei dagegen nur marginal. Das härteste Los dabei tragen umstiegswillige Raucherinnen und Raucher. Auch die Risiken durch Schwarzmarktprodukte und Do-it-yourself Mischungen würden deutlich zunehmen. Dr. Steinmetz kritisierte sehr deutlich das Vorschieben des Jugendschutzes, um Verbote durchzusetzen.
Larissa Steimle: Disposables
Die wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin des Instituts für Suchtforschung berichtete in ihrem Vortrag vom Stand der Diskussion um die Einweg E-Zigaretten, sog. Disposables. Dabei zitierte sie mehrfach aus der letzten Publikation des Fachholschulverlags mit Heino Stöver als Herausgeber „Die Zigarette liegt in den letzten Zügen – Alternative Formen der Nikotinaufnahme“. Spannend: Bei der späteren Einblendung der Quellenverweise erschien recht häufig „Bauer 2023, Seite xyz“. Simon Bauer ist der 1. Vorsitzende des BVRA e.V. und hatte für Herrn Prof. Stöver im letzten Buch u.a. eine umfangreiche Abhandlung zum Thema Disposables verfasst.
Fazit
Einig waren sich sowohl Vortragende, als aus Besucher, in ihrer Kritik an den politischen Entscheidungsträgern, die Erkenntnisse der Forschung und die Faktenlage zu ignorieren. Angesichts der sehr hohen Raucherquote in Deutschland sind Alternativen zur Verbotskultur gefragt. Verbote allein und sehr moderate Steuern auf Tabak werden die Zahlen nicht wesentlich drücken können. Der Raucher und die Raucherin braucht nutzbare Alternativen, um den Weg aus der Sucht zu schaffen. Die E-Zigarette ist eine solche Alternative!
Pressemitteilung des Institut für Suchtforschung (ISFF) an der Frankfurt University of Applied Sciences zur Veranstaltung: Fachtagung „Tobacco Harm Reduction – Innovative Rauchentwöhnungsstrategien“ zieht düstere Bilanz zur Tabakprävention in Deutschland und zeigt alternative Ansätze
Beitragsbild / Die vortragenden Teilnehmer v.l.n.r.: Prof. Dr. Martin Storck, Dietmar Jazbinsek, Larissa Steimle, Dr. Leonie Brose, Dr. Fabian Steinmetz, Prof. Dr. Bernd Mayer, Dr. phil. Bernd Werse, Prof. Dr. Heino Stöver
bvra
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