Ende April fand in Berlin ein Verbraucherforum des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) statt. Das Forum trug den Titel „Chancen und Risiken der E-Zigarette“. Wir waren als Konsumentenverband vor Ort, um uns über die aktuelle Studienlage zu informieren und um in Einzelgesprächen unsere Sicht als Verbraucher darzulegen.
Eingeladen waren zahlreiche bekannte Referenten aus den Bereichen Wissenschaft, Forschung, Politik und Verbraucherschutz. In der abschließenden Podiumsdiskussion nahm ergänzend noch der E-Zigaretten Händlerverband „Bündnis für Tabakfreien Genuss“ (BfTG) teil.
Der kleinste gemeinsame Nenner aller Teilnehmer war die Erkenntnis, dass die E-Zigarette wirklich deutlich weniger Schadstoffe generiert als die Tabakzigarette. Lediglich die Höhe der Reduktion schätzten die Teilnehmer sehr unterschiedlich ein. Eine Kernaussage stand dabei ständig im Raum: nur weil die gemessenen Schadstoffe äußerst gering im Vergleich zum Tabak sind, heißt das noch nicht, dass das Risiko in gleichem Maße sinkt. Aber niemand der Kritiker mochte sich da auf Zahlen oder Werte festlegen, immer mit dem Hinweis auf fehlende Langzeitstudien. Man könne jetzt noch nicht wissen, welche Schädigungen in weiteren 10 oder 20 Jahren auftreten. Eine COPD Erkrankung benötige auch Jahrzehnte regelmäßigen Rauchens, um sich zu verfestigen.
Gemessene Schadstoffe
Frau Dr. Elke Pieper vom BfR begann die Vortragsreihe mit den Analysedaten zum Schadstoffausstoß der E-Zigarette im direkten Vergleich zu den Werten der Tabakzigarette. Die Grafik dazu wurde an die Projektionswand geworfen und man konnte aus der fünften Reihe im Auditorium die Balken für das Tabakprodukt sehr deutlich und klar erkennen. Die Balken für die E-Zigarette waren aus der Entfernung kaum noch auszumachen. Es ist dabei nach wie vor nur schwer begreifbar, warum ein derart deutlich niedrigerer Schadstoffausstoß nicht auch deutlich reduziertes Risiko beinhalten soll!
Ein essenzieller Punkt fand leider keine Berücksichtigung. Es gibt für Schadstoffe in der Luft oder in der Nahrung Grenzwerte, nach denen ein Stoff unterhalb einer bestimmten Konzentration als gesundheitlich unbedenklich eingestuft wird. Der Grund liegt in unserer Leber. Die Leber ist das zentrale Entgiftungsorgan unseres Körpers und filtert alle Stoffe aus, die für den Stoffwechsel nicht förderlich sind. Unser Körper ist deshalb in der Lage, mit Schadstoffen in begrenzter Menge fertig zu werden. Genau dafür sind diese Grenzwerte definiert.
Für den Verbraucher wäre es an dieser Stelle wünschenswert gewesen zu wissen, ab welcher Konzentration ein Schadstoff auch wirklich Schaden anrichtet. Im Sinne einer Risikobeurteilung dürfte dieser Parameter eigentlich nicht ausgeklammert werden, was aber wie in der Vergangenheit allzu oft nicht Teil der Erwägungen in entsprechenden Vorträgen oder Veröffentlichungen ist.
Die Aufgabe des BfR
Der Leiter der Abteilung Chemikalien- und Produktsicherheit, Prof. Dr. Dr. Andreas Luch, stellte in der Podiumsdiskussion die wesentliche Aufgabe des BfR heraus. Das Institut soll gemäß Auftrag einzig die Analyse und Bewertung von bedenklichen Stoffen vornehmen. Dies diene dem Wohle der Allgemeinheit, unabhängig davon, von wem das Produkt überhaupt genutzt wird oder warum es entwickelt wurde. Es sei nicht die Aufgabe des BfR, Relationen herzuleiten, sondern mögliche Gefahren aufzuzeigen und die Bürger davor zu schützen. Diese Betrachtung des Absoluten wird von vielen Wissenschaftlern geteilt, die sich mit Fragen zum Schadenspotential der E-Zigarette eingehend beschäftigen. Allerdings besteht genau darin auch aus Konsumentensicht ein großes Kommunikationsproblem. In der Wahrnehmung der Öffentlichkeit und der politischen Entscheider wird ein mögliches Risiko viel stärker und häufiger kommuniziert als der Nutzen, den die E-Zigarette bringt.
Diesen Punkt griff auch Dr. Mark Lohmann, Fachgruppenleiter Risikosoziologie und Risiko-Nutzen-Beurteilung des BfR, auf. In seinem Vortrag referierte er über die Wahrnehmung der E-Zigarette in der Öffentlichkeit. Das Ergebnis war erwartungsgemäß verheerend. Sogar in der Gruppe der E-Zigaretten Nutzer besteht große Unwissenheit über das Gefahrenpotential der E-Zigarette. In einer Folie zeigte er zudem auf, das sich 96% aller befragten Nichtraucher/innen bzw. Nichtdampfer/innen nicht für das Thema E-Zigarette interessieren. Man fragte sich als Zuschauer an dieser Stelle, ob diese ca. 56 Mio. Bundesbürger nach dem Verständnis des BfR also vor einem Produkt geschützt werden müssen, das sie selbst niemals in Erwägung ziehen würden?
Tobacco Harm Reduction
Lediglich die Gruppe der Suchtforscher oder behandelnder Ärzte sieht die Notwendigkeit, das Thema der Schadstoffrisiken nicht nur absolut, sondern auch relativ zu betrachten. Weiterrauchen ist schließlich keine vernünftige Option! Dr. Thomas Hering, ein Lungenfacharzt aus Berlin, berichtete von einem Patienten mit COPD (eine schwere und lebensbedrohliche Lungenerkrankung) im Endstadium. Sein nutzbares Lungenvolumen sei auf das Maß eines Trinkglases zurück gegangen. Der starke Raucher konnte aber nicht einfach aufhören. Also schwenkte er als letztes Mittel auf die E-Zigarette um. Dadurch konnte zwar die COPD nicht rückgängig gemacht werden, aber zumindest ist er nicht zum prognostizierten Zeitpunkt verstorben. Seine Lebenserwartung betrug nur noch wenige Wochen, falls er weiter geraucht hätte. Die E-Zigarette kann natürlich nicht heilen, aber sie kann Schlimmeres verhindern und den Status quo einfrieren.
Dieses Prinzip der Schadensminimierung von Tabakschäden, Tobacco Harm Reduction (THR), wird von vielen Suchtmedizinern und behandelnden Ärzten anerkannt, falls ein sofortiger Rauchstopp nicht möglich ist. Und dieser pragmatische Ansatz war es auch, der den chinesischen Apotheker Hon Lik 2003 dazu veranlasste, ein Gerät zu entwickeln, das den Nikotinkonsum ohne die tödlichen Verbrennungsstoffe des Tabaks ermöglicht – die E-Zigarette. Kurz zuvor war sein Vater an Lungenkrebs verstorben.
Nach Dustin Dahlmann, Vorsitzender des Händlerverbandes „Bündnis für Tabakfreien Genuss“ (BfTG), sind 99,7% aller Dampfer (= E-Zigaretten Nutzer) ehemalige Raucher oder Menschen, die sowohl Liquids, als auch Tabak nutzen (sog. Dual User). Damit sei das Produkt E-Zigarette ganz klar an die Gruppe der Raucher adressiert. Nichtrauchern wird von der Nutzung im Fachhandel abgeraten.
Nikotin
Etwas irritiert waren wir über die Aussagen zum sehr strittigen Thema Suchtwirkung von Nikotin. Dieser Stoff wurde immer wieder als stark süchtig machende Substanz dargestellt, quer durch alle Fachrichtungen. Zumindest kam kein erkennbarer Widerspruch zu dieser im Grunde zu stark vereinfachten Darstellung. Wissenschaftlich ist dieser Punkt nicht unumstritten. Wünschenswert wäre an dieser Stelle ein Experte zu diesem Thema gewesen.
Kontext: Schon der schwedische Psychologe Karl Fagerström, der durch einen nach ihm benannten Test für Zigarettenabhängigkeit international bekannt geworden ist, hatte erkannt, dass Nikotin allein nicht das Problem ist. Erst die Zusammenwirkung mit dem Tabak sowie diverse Verhaltensfaktoren macht das ganze Suchtpotential aus. Daher benannte er seinen Test im Jahre 2010 um. Aus „Fagerström-Test für Nikotinabhängigkeit“ wurde „Fagerström-Test für Zigarettenabhängigkeit“. Dieser Test wird heute noch weltweit eingesetzt und findet sich mit der aktualisierten Bezeichnung z.B. auch auf der Internetseite des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg.
Gateway Hypothese
Zwei Referenten wurden zu dem Thema eingeladen. Zum Einen Prof. Dr. Daniel Kotz von der Universität Düsseldorf. Sein Institut führt die öffentlich geförderte regelmäßige Deutsche Befragung zum Rauchverhalten (DEBRA) durch. Demnach sinken die Nutzerzahlen bei den Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren stetig. Die Raucherquote bei den Erwachsenen ist in der Coronazeit angestiegen und liegt gesamt derzeit bei etwa 30%. Das ist im europäischen Vergleich ein recht hoher Wert. Es wird natürlich auch nach der Nutzung von E-Zigaretten gefragt und da liegt die Quote bei den Jugendlichen lediglich bei 0,5%. Im Vergleich dazu sind es 1,4% bei den Erwachsenen. Nach wie vor zeigen die Zahlen hierzulande, genau wie im Übrigen auch international, dass der seit fast zwei Jahrzehnten herbeigeredete Gatewayeffekt in das Rauchen durch E-Zigaretten einfach nicht passiert.
Kontext: Wenn die E-Zigarette einen Einstieg in das Rauchen fördern würde, müssten dann nicht die Raucherquoten in der Altersgruppe etwa im gleichen Maß ansteigen? Das tun sie aber nicht. Nicht hier in Deutschland – nirgendwo weltweit. Es lässt sich keine belastbare Evidenz für diese Sorge finden. Die Gateway Hypothese war und ist im Grunde nichts anderes als eine Sorge oder Befürchtung, motiviert durch den Wunsch, jeden Schaden vom eigenen Kind fernzuhalten. So verständlich und nachvollziehbar das auch ist, es finden sich einfach keine Belege für diese Annahme. Die Zahlen zeigen hierzulande wie auch international eher das Gegenteil, wo Alternativprodukte wie Snus oder E-Zigaretten gut verfügbar sind und die Nutzer entsprechend informiert wird insgesamt weniger geraucht, auch und grade in den unteren Altersgruppen.
Umso erstaunlicher war dann der anschließende Vortrag von Prof. Dr. Reiner Hanewinkel. Er vertritt entgegen allen Erkenntnissen aufgrund seiner eigenen Forschung am Kieler Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung die abenteuerliche Meinung, dass die Gefahr durchaus real sei. Und er hatte noch einen Pfeil im Köcher:
E-Zigarette als Rauchstopp Mittel
Der Cochrane Report gilt als Goldstandart der Forschung. Es handelt sich um eine hochkarätig besetzte Gruppe von Wissenschaftlern, die verschiedene Publikationen zu Themen sammeln und in einer sog. Meta-Studie auswerten. Diese Art der Auswertung macht unabhängig von eigenen Sichtweisen und schafft einen hervorragenden Überblick über die aktuelle Studienlage. Das wurde von Prof. Hanewinkel auch so kommuniziert. Im gleichen Atemzug aber nahm er sich die vier bisher erschienenen Ergebnisse zum Thema E-Zigarette als Rauchstopp Mittel vor. Drei der vier Studien seien mangelhaft oder nicht aussagekräftig. Er könne nicht erkennen, dass die E-Zigarette anderen Nikotinersatzprodukten in der Wirksamkeit überlegen sei.
Kontext: Wie auch in der Vergangenheit, in der Prof. Hanewinkel z.B. vor explodierenden Liquids aus China warnte sind seine Ausführungen schwer bis überhaupt nicht mit der vorhandenen Datenlage in Einklang zu bringen. Nach wie vor scheint er sich nur sehr oberflächlich und einseitig mit der Datenlage zu befassen, entsprechend abenteuerlich sind seine Aussagen zum Thema bisweilen.
Qualität der Forschung
Prof. Dr. Ute Mons, Universitätsklinikum Köln und langjährige Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention des DKFZ, bot mit ihrem Vortrag das Highlight der Veranstaltung. Ihr Thema war nicht fokussiert auf Chancen und Risiken, sondern sie untersuchte die Forschungen und Publikationen zu dem Thema. Insbesondere die Gefahren, die durch gewisse Vorgehensweisen entstehen. Ob es die Verwechselung von Korrelation und Kausalität ist, oder das Betonen von Ergebnissen, die dem eigenen Wunschbild entsprechen. Oder es werden erst Ergebnisse geliefert, auf die dann die Fragestellung aufgesetzt wird. Daher mahnte sie ausdrücklich an, sich das Studiendesign sehr genau anzuschauen und forderte die Anwesenden auf, sich einmal mit dem Prinzip „Open Science“ auseinander zu setzen.
Open Science (= Offene Wissenschaft) bedeutet, dass alle Studien und Ergebnisse vor einer Publikation allen interessierten Wissenschaftlern zugängig gemacht werden, so dass evt. Kritik oder Verbesserungsvorschläge noch eingearbeitet werden können. Erst dann sollten die Arbeiten in Fachmagazinen publiziert werden. Die bisher gängige Praxis des Peer-Review versagt oft genug oder wird umgangen.
Kontext: Die Folge von Veröffentlichungen schlechter oder sogar später zurückgezogener Studien sind Negativschlagzeilen in der Presse, die sich aus dem kollektiven Gedächtnis nicht mehr löschen lassen. Sie werden eher als PR denn als tatsächlicher wissenschaftlicher Beitrag genutzt, was ein Bruch und eigentlich sogar ein Missbrauch wissenschaftlicher Standards ist.
Fazit
Die abschließende Podiumsdiskussion wurde von einer Wissenschaftsjournalistin moderiert und griff nochmal etliche Themen aus den Beiträgen auf. Leider ließen die Veranstalter aus Zeitgründen keine Fragen aus dem Publikum mehr zu. Auch waren einige Fragen dabei, die eigentlich an die Verbraucher adressiert waren. Z.B.: Warum braucht es so viele verschiedene Aromen? Aber ein Vertreter der Konsumentenseite war nicht im Podium. In der Hinsicht wäre noch Verbesserungsbedarf seitens des Veranstalters.
Die Bewertung der Risiken wird vom BfR immer nur aufgrund der gefundenen Schadstoffe vorgenommen. Eine Relativierung ist jetzt und künftig nicht vorgesehen. Das Thema Gateway ist trotz intensiver Forschungslage immer noch als Spukgespenst präsent und beim Thema Aromaverbot befinden wir uns auf einem steinigen Weg.
Bemerkenswert ist auch, wie weit die Forschung von der aktuellen Marktsituation entfernt ist. So fragte der Moderator nach einem Vortrag zu Cooling Agents (ein Stoff, der beim Einatmen einen Kühlungseffekt bewirkt), er kenne das gar nicht und ob das außerhalb der Marke Juul überhaupt relevant wäre. Die Reaktionen der Anwesenden gingen in die gleiche Richtung. Dabei sind entsprechende Stoffe (WS-3, WS-23, auch „Coolada“ genannt) in den letzten 5 Jahren in unzähligen Produkten zu finden und eines der häufigsten Alleinstellungsmerkmale im Verkauf. Gerade bei solchen Fragen könnte das BfR bzw. in diesem Bereich Forschende von einem engeren fachlichen Austausch mit einer Konsumentenvertretung erheblich profitieren.
Viel zu kurz gekommen ist uns das Thema Tobacco Harm Reduction, aber vermutlich kann das BfR dies aufgrund seiner Themenschwerpunkte auch gar nicht darstellen. Was wir als Konsumentenverband mitnehmen, sind neue Kontakte und die Erkenntnis, dass noch viel zu tun ist.
Gehen wir es an!
bvra
Neueste Artikel von bvra (alle ansehen)
- MHD bei Liquids? - 29. September 2024
- Besuch der InterTabac 2024 - 23. September 2024
- Harm Reduction funktioniert beim Rauchstopp! - 28. August 2024
2 Gedanken zu „BfR-Forum aus Verbrauchersicht unbefriedigend“