Verbraucher fühlen sich von Politik betrogen

Balkendiagramm

In einer offenen Verbraucherumfrage hat der Bundesverband Rauchfreie Alternative e.V. (BVRA) Nutzerinnen und Nutzer von E-Zigaretten gefragt, wie ihr Wissensstand bei der neuen Verbrauchssteuer auf E-Liquids ist und wie sie damit umgehen werden. Es zeichnen sich starke Ausweichbewegungen der Konsumenten ab, die die Höhe der erwarteten Steuereinnahmen sehr unrealistisch erscheinen lassen. Außerdem gibt fast jeder fünfte an, nach Einfuhr der Steuer wieder mehr rauchen zu wollen. Das kann doch nicht Ziel einer Lenkungssteuer sein?

Wer hat teilgenommen?

Unsere Umfrage lief von Anfang bis Ende April 2022. In diesem Zeitraum haben 1734 Konsumenten den Online-Fragebogen beantwortet. Wir bedanken uns bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Die große Mehrheit der Teilnehmer (83%) ist in keinem Verband mit E-Zigarette-Bezug organisiert, weitere 14,4% sind Mitglied im Konsumentenverband BVRA e.V. und der Rest entweder in anderen Konsumenten- oder Händlervereinigungen.

Überwältigende 95,2% gaben an, vorwiegend schadensminimierte Produkte zu konsumieren, während 4,7% Dual-User (klassische Tabak-Zigaretten plus E-Zigaretten) sind. Mehr als die Hälfte gab an, täglich zwischen 6 und 15 ml Liquid zu konsumieren, während ein weiteres Drittel mehr als 16 ml und ein Zehntel weniger als 5 ml verbrauchen. Für den Konsum werden hauptsächlich Selbstwickler (offene Systeme zum Selbstbestücken: 83,3%) verwendet, gefolgt von offenen Systemen mit fertigen Wicklungen (37,9%) und sog. Podsystemen (26%). Heat-not-Burn Produkte wie z.B. die IQOS oder die GLO (1,5%) und Disposables als Einwegprodukte (0,6%) spielten bei den Teilnehmern unserer Umfrage keine Rolle. Die Konsumformen waren ausgeglichen, es gab jeweils ungefähr ein Drittel an, mit kleinen Wolken (MTL), mit großen Wolken (DL) oder mit beidem zu Dampfen.

Informationsfluss und Wissensstand

Der Start der gesonderten Besteuerung von allen Flüssigkeiten zur Verwendung in E-Zigaretten ab dem 1. Juli 2022 markiert eine Zäsur im Bereich der Schadensminimierung. Wurden die wesentlich weniger schädlichen Produkte bisher nicht besteuert, so werden ab 01. Juli 2022 16 Cent und gestaffelt bis 2026 dann 32 Cent pro Milliliter Flüssigkeit Steuern fällig – zuzüglich der Mehrwertsteuer. Das bedeutet z.B. eine Preissteigerung von derzeit ca. 10 Euro für einen Liter Base im Fachgeschäft auf mindestens 380 Euro. Trotz der Größe dieses Einschnitts fand keine breite öffentliche, mediale oder politische Debatte dazu statt. Deswegen haben wir auch den Kenntnisstand unter Konsumentinnen und Konsumenten abgefragt.

Hier gab ein Viertel der Befragten an, dass sie zur Höhe, den betroffenen Produkten und den Staffelungen entweder schlecht informiert sind oder von einer Steuer gar nichts wissen. Nur 17,4% fühlen sich sehr gut informiert.

Dafür gaben aber knapp mehr als die Hälfte der Konsumenten an, dass ihnen Bezugsquellen für Liquidbasisstoffe (PG, VG, Aromen) bekannt sind, mit denen sie die zukünftige Besteuerung umgehen können. Ein weiteres Viertel hat hierfür Anhaltspunkte und will sich noch genauer informieren. Nur unter 20% sagten, dass ihnen keine steuerfreien Quellen bekannt seien.

In einer Anschlussfrage wollten wir wissen, wie gut die Konsumenten darüber informiert sind, welche Basisstoffe man bedenkenlos zum Selbermischen nutzen kann und wo eventuell Gefahren bestehen. Während also 80% steuerfreie Quellen kennen oder planen sich weiter damit auseinanderzusetzen, gaben nur gute 50% an, sich gut oder sehr gut mit eventuellen Gefahren auszukennen. Ein Viertel räumt hier ein, sich nicht informiert oder Wissenslücken zu haben.

Unabhängig von der kommenden Steuer haben wir auch noch danach gefragt, wie gut sich die Konsumenten zum Themenfeld Tobacco Harm Reduction (THR, Reduzierung der rauchbedingten Gesundheitsschäden) und deren Regulierung von verschiedenen Akteuren im Allgemeinen informiert fühlen. Hier schnitten die Konsumentenverbände vor den Händlerverbänden am besten ab. Von den Medien fühlten sich nur knappe 14% ausreichend oder durchwachsen informiert. Spätestens hier sollten alle Alarmglocken läuten: von der deutschen Politik fühlen sich nur 1,6% der Teilnehmer ausreichend informiert, weitere 7% würden es als durchwachsen bezeichnen. 29,7% fühlen sich durch die Politik schlecht informiert und ganze 47,4% fühlen sich offen betrogen.

Wahrnehmung von Politik

Gesetze, Regulierungen und Steuern fallen nicht einfach vom Himmel – es sind Menschen, die diese erarbeiten, es sind Fachpolitiker, die diese debattieren und es sind Abgeordnete, die diesen schlussendlich im Parlament zustimmen und damit die Verantwortung tragen. Deswegen haben wir die Konsumenten zu ihrer Wahrnehmung der politisch beteiligten Parteien befragt.

Unsere erste Frage dazu war, wie in der persönlichen Wahrnehmung die jeweilige Partei ganz allgemein zum Thema E-Zigarette steht. Bei dieser Frage wurde vor allem der Union (68%) und der SPD (77%) bescheinigt diesem Thema gegenüber kritisch bis sehr kritisch wahrgenommen zu werden. Für die Grünen und die FDP ergab sich ein diffuses Bild: während ungefähr die Hälfte der Befragten beide Parteien bei kritisch bis sehr kritisch einordnen, empfinden sie auch ein Drittel als ausgewogen bis positiv eingestellt und ein Viertel gibt an nicht zu wissen wie die Parteien zu E-Zigaretten stehen. Für die Linke und die AfD geben sogar jeweils über die Hälfte der Befragten an, dies nicht zu wissen.

Im Anschluss fragten wir, wie die Position der jeweiligen Partei bezüglich einer Besteuerung von Liquids und Heats wahrgenommen wird. Auch hier fallen die alten GroKo Parteien aus der Reihe: Während angenommen wird, dass die Union (36%) und die SPD (52%) Liquids sehr stark besteuern wollen, gaben das für Grüne, FDP, Linke und AfD jeweils nur zwischen 20% und 25% an. Dagegen glauben für die Union 4% und die SPD 2%, dass sie eine Besteuerung in Relation zu potentiellen Gesundheitsgefahren anstreben, wohingegen dies ein größerer Teil für die Grünen (15%) und die FDP (17%) annimmt. Alle Parteien haben gemeinsam, das große Teile der Konsumenten nicht wissen, wie die Parteien zu der Besteuerung stehen (bei der SPD 34%, der Rest zwischen 40% und 60%).

Mit der dritten Frage wollten wir wissen, wie konsequent die Umsetzung der Position der jeweiligen Partei zu Harm Reduction empfunden wird. Hier erhielten alle im Bundestag vertretenen Parteien nur einstellige Zustimmung für eine sehr konsequente Umsetzung. Schwierig an dieser Stelle wird es für die FDP und die Grünen, die letzten Sommer als Oppositionsparteien beide gegen diese Form der Liquidsteuer waren und sie nun als Teil der Regierung mitverantworten müssen. So geben zwar jeweils ca. 20% der Befragten an, dass die Position zur Harm Reduction sehr konsequent oder ab und an umgesetzt würde, gleichzeitig halten dies aber auch 28% für nur Gerede und 20% sagen, dass die Position überhaupt nicht umgesetzt würde, während die letzten 30% nicht wissen was beide Parteien in diesem Bereich machen.

Wie reagieren die Konsumenten auf die Steuer?

Innerhalb der aktiven Dampferszene wird die Besteuerung seit einem Jahr in Foren, Communities, Gruppen und Blogs diskutiert. In unserem letzten Fragenkomplex wollten wir daher wissen, wie die Verbraucher persönlich auf die sehr stark steigenden Preise reagieren werden.

Die meisten (80%) wollen ihren Liquidverbrauch nicht reduzieren, aber diejenigen die das wollen, gedenken auf verbrauchsärmere Geräte umzusteigen, weniger zu Konsumieren oder den Nikotingehalt zu erhöhen. 5% der Teilnehmer denkt darüber nach wegen der Steuer ganz mit dem Dampfen aufzuhören.

Drei-Viertel der Befragten wollen auf keinen Fall wieder zur klassischen Tabakzigarette greifen, aber für 10% wird der Dual-Use wahrscheinlicher. 8,5% wollen wieder zurück zum Rauchen und 4% wollen mehr Rauchen als Dampfen. Ein Ausweichen auf rauchfreie orale Produkte wie Snus oder White Pouches spielte bei unseren Teilnehmern keine Rolle (0,7%).

Die Frage, wo die Konsumentinnen und Konsumenten ab Juli ihre Flüssigkeiten kaufen werden, lässt weder für die geplanten Steuereinnahmen noch für den Fachhandel auf Gutes hoffen. Mehr als die Hälfte der Befragten will legal erworbene, steuerbefreite Produkte zweckentfremden, ein Fünftel räumt unumwunden ein auf schwarzen und grauen Märkten einkaufen zu wollen, ein Viertel will dies online außerhalb Europas oder auf Urlaubsreisen tun.

Schon die Einführung der TPD2 2016 mit der Größenbeschränkung auf 10ml und der Konzentrationsbeschränkung auf 20mg Nikotin pro ml hat in der Szene zu großen Vorratsbeschaffungen geführt. Dieses Verhalten scheint sich nun durch die anstehende Steuer noch zu intensivieren: Die Frage der Einlagerung beantworten für Nikotin 15% und für Base 19% mit Nein. Jeweils die Hälfte lagert Nikotin und Base für mehrere Jahre ein. 8% lagern sogar mehr Nikotin als sie alleine verbrauchen können und 6% tun dies für Base. Bei Aromen scheint das Bild etwas entspannter zu sein: ein Drittel will keine Aromen einlagern, ein Drittel für Monate und ein Viertel für mehrere Jahre, obwohl mehr als die Hälfte die Gefahr als hoch bis sehr hoch einschätzt, dass es ihr Lieblingsaroma nach Steuereinführung und Abverkauf nicht mehr geben wird.

Diesen Themenkomplex abschließend haben wir gefragt, ob die Verbraucher das Dampfen auch mit der Steuer einem Rauchenden Freund empfehlen würden. Nur 5% würden das nicht machen, aber auch nur 33% uneingeschränkt. 26% schränken ein, dass einem die Gesundheit wichtiger als der eigene Geldbeutel sein sollte und 16% würden nur eine Empfehlung in Kombination mit Steuerspar-Tricks aussprechen.

Schlussfolgerungen

Die von uns durchgeführte Befragung unter Konsumenten von E-Zigaretten zeigt besorgniserregende Entwicklungen auf, aus denen sich klare Arbeitsaufträge für die politisch Beteiligten ableiten lassen:

Nur wenige Konsumenten fühlen sich „sehr gut“ zur anstehenden Steuer informiert.
Hier ist es Aufgabe der Politik klare und eindeutige Regelungen zu schaffen und diese auch klar zu kommunizieren. Aber auch Konsumentenvereinigungen und Händler(verbände) müssen weitere Aufklärung betreiben.

Es drohen völlig neue gesundheitliche Gefahren. Sehr viele Konsumenten geben an, Quellen zu kennen um die Steuer zu umgehen, planen Produkte zu zweckentfremden oder räumen ein, zukünftig auf schwarzen und grauen Märkten einzukaufen. Aber nur ein Teil dieser Konsumenten gibt auch an zu wissen, welche Produkte man gefahrlos nutzen kann. Durch Verunreinigungen, falsche Reinheitsgrade oder Ungewissheiten über die Inhaltsstoffe drohen nicht absehbare Gesundheitsschäden.
Politisch muss eine Besteuerung so ausgestaltet sein, dass sie massive Ausweichbewegungen auf einen Schwarzmarkt verhindert, Vorprodukte (Aromen und Base) müssen von der Steuer ausgenommen werden, damit sie weiter primär legal über den beratenden Fachhandel vertrieben werden.

Unabhängig von der Steuer fühlt sich fast jeder dritte Konsument von der Politik schlecht zum Thema Tobacco Harm Reduction informiert, fast jeder zweite Konsument fühlt sich dazu von der Politik „betrogen“.
Vertrauen in gesundheitspolitische Entscheidungen sind in allen Bereichen essentiell wichtig. Mit unbedachten Äußerungen zur Tobacco Harm Reduction verspielt die Politik dieses Vertrauen. Auch sucht sich die Politik oft schlechten Rat bei einem seit Jahren zu sehr eingegrenzten Kreis an Ansprechpartnern, hier ist ein breiterer Blickwinkel dringend angezeigt.

Die Konsumenten sehen vor allem in der SPD eine Partei, die der E-Zigarette sehr kritisch gegenübersteht und hauptsächlich für eine überaus starke Besteuerung eintritt, was bei der Union etwas weniger ausgeprägt wahrgenommen wird. In einer schwierigen Situation sind die Grünen und die FDP, welche vor der letzten Bundestagswahl beide gegen diese Form der Besteuerung waren, diese aber als Regierungsparteien jetzt mittragen.
Die SPD sollte dringend in den Dialog mit den Konsumenten treten, um die Mechanismen rund um die Tobacco Harm Reduction und deren Besteuerung zu verstehen. Grüne und FDP sollten sich an ihre Positionen vor der Wahl erinnern.

Bei allen Parteien wurde deutlich, dass viele Konsumenten nicht wissen, wie die jeweilige Partei zur E-Zigarette und deren Besteuerung steht.
Wir fordern von allen Parteien klare Positionen zu Tobacco Harm Reduction und schlüssige, an wissenschaftlichen Erkenntnissen ausgerichtete Konzepte zur  Besteuerung.

Ein nicht unerheblicher Teil der Befragten will aufgrund der Besteuerung zurück zum Rauchen oder wieder mehr Rauchen.
Hier müssen sich alle politisch Beteiligten die Frage gefallen lassen, ob eine Steuer eine Lenkungswirkung von einem risikoreduzierten Produkt hin zu einem äußerst gesundheitsschädlichen Produkt haben sollte.

Sehr große Teile der Befragten haben nicht vor die Tabaksteuer auf Liquids zu bezahlen. Enorm große Ausweichbewegungen werden geplant. Die vom Bundesministerium der Finanzen eingeplanten Einnahmen erscheinen um Größenordnungen unrealistisch
Das BMF sollte hier neue Abwägungen anstellen, ob die tatsächlich zu erwartenden Einnahmen es rechtfertigen, große Teile der Konsumenten vom regulären Markt in einen unregulierten und nicht überwachbaren Markt zu drängen und dabei auch den Jugendschutz zu opfern.

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Bundesverband Rauchfreie Alternative e. V.
Der BVRA e. V. ist ein unabhängiger Konsumentenverband. Wir setzen uns ein für die Tobacco Harm Reduction und eine Beurteilung aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse.

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