In der öffentlichen Debatte um die E-Zigarette gibt es gravierende Fehlwahrnehmungen aufgrund mangelnder wissenschaftlicher Kenntnisse in Politik, Medien, Ärzteschaft und Gesellschaft über Tabak, Rauch und Nikotin. Unser Gastautor, Dr. Fabian Pitter Steinmetz, zertifizierter Toxikologe und sehr engagiert im Bereich der Drogenaufklärung, beleuchtet in seinem Artikel diese Wahrnehmungen und setzt sie in einen wissenschaftlichen Kontext.
Nikotin ≠ Tabak und Tabak ≠ Tabakrauch
von Dr. Fabian Pitter Steinmetz
Das Rauchen von Tabakprodukten, insbesondere Zigaretten, hat einen schlechten Ruf und dieser ist auch ganz gut begründbar. Zahlreiche Erkrankungen (z.B. Lungenkrebs und COPD) sind mit dauerhaftem Konsum von Tabakrauch assoziiert. Manche Institutionen sprechen sogar vom größten vermeidbaren Gesundheitsrisiko. Wichtig ist aber weder den sporadischen, rituellen Gebrauch (wie bspw. bei Ayahuasca-Zeremonien), noch die zahlreichen anderen Arten Tabak/Nikotin zu sich zu nehmen, mit diesem pathologischen Risiko zu eng zu verknüpfen. Tabakrauch besteht aus unzähligen chemischen Verbindungen. Neben den Tabakalkaloiden (vornehmlich Nikotin), befinden sich in diesem auch tabakspezifische Nitrosamine, polyaromatische Kohlenwasserstoffe, Kohlenstoffmonoxid, Aldehyde, Feinstäube, aber auch Isochinolinderivate, die wohl die psychoaktive Wirkung modulieren. Ein paar dieser Stoffgruppen können, insbesondere bei regelmäßiger Einnahme, Lungen-, Mund- und Rachentumore und Herz- und Kreislauferkrankungen verursachen. Der Hauptwirkstoff, also das Nikotin, hat dabei aber eine zu vernachlässigende Wirkung. Ähnlich wie bei Koffein gibt es zwar auch eine Wirkung auf den Kreislauf, die bei Überdosierung auch recht heftig ausfallen kann, eine Ursache für Lungenkrebs o.ä. stellt Nikotin aber nicht dar. Deshalb können auch in Apotheken zahlreiche Substitute mit Nikotin vertrieben werden, ohne dass der Apotheker ein schlechtes Gewissen haben muss.
Das Nikotin hat bei der Verursachung von Tumoren und Herz- / Kreislauferkrankungen eine zu vernachlässigende Wirkung
Passivrauchen, also das Einatmen von Zigarettenqualm in schlecht ventilierten Räumlichkeiten (bspw. im Auto), stellt definitiv ein Gesundheitsrisiko dar. Das bloße sensorische Wahrnehmen, bspw. dass die Nachbarin sich gerade eine Zigarette angesteckt hat, stellt hingegen ein vernachlässigbares Gesundheitsrisiko dar. Selbiges gilt übrigens auch bei Cannabis: Wer Cannabis draußen riecht, der wird nicht „high“ davon – aufgrund der anstehenden Teillegalisierung und vieler besorgter Mütter musste ich das unbedingt loswerden. Der Mensch als Tier mit einer recht innigen Beziehung zum Feuer hat schon eine gewisse Toleranz was Exposition zu Verbrennungs- bzw. Pyrolyseprodukten angeht. Auch wenn Lagerfeuer Induktionsherden und rituelle Räucherungen mit psychoaktiven Pflanzen modernen Verdampfern weichen, hat der menschliche Körper dennoch metabolische Wege entwickelt mit jenen Schadstoffen umzugehen, zumindest wenn es sich nicht um eine übermäßige Exposition (wie bspw. beim täglichen Zigarettenkonsum) handelt. Theoretisch kann jedes reaktive Molekül, ja sogar jeder UV-lastige Sonnenstrahl, einen bösartigen Tumor auslösen, aber in der Praxis bedarf es dazu noch ein paar mehr Moleküle bzw. Strahlen.
Verschiedene Nikotin-/Tabakprodukte bergen unterschiedliche Risiken, und diese sind wiederum von der Exposition abhängig, d.h. man schadet sich mit zwei Zigaretten am Tag weniger als mit zwei Packungen täglich. Wenn man sich das Nikotin aber anders zuführt, z.B. über Pflaster, Kaugummis oder E-Zigaretten, dann ist die Exposition von Schadstoffen praktisch nicht vorhanden bzw. marginal. In der Epidemiologie sind Schadeffekte besonders leicht zu finden, wenn diese besonders häufig bei Betroffenen (hier: Raucherinnen und Rauchern) auftreten. Von daher ist es schwieriger Zusammenhänge zu selteneren Schadeffekten zu hypothesieren. Das wird noch weiter erschwert, wenn es weniger Daten gibt. Dennoch zeigen die klinischen Studien über Raucherentwöhnungsprodukte und die analytischen Daten zu E-Zigarette, Snus, Schnupftabak etc., dass Zigaretten ein deutlich größeres Gesundheitsrisiko mit sich bringen. Natürlich kann man, wie im folgenden Text, die Gefahren der unterschiedlichen Produkte weiter erörtern. Wichtig ist aber zu verstehen, dass es hier um marginale Unterschiede geht, d.h. wenn „Heated-Tobacco-Products“ als schadstoffreicher als E-Zigaretten umschrieben werden, dann sind dennoch beide Produkttypen deutlich weniger schädlich als Zigaretten.
Heated Tobacco Products und E-Zigaretten sind deutlich weniger schädlich als Zigaretten
Es gibt zahlreiche Tabakprodukte, die über die Schleimhäute in Mund, Nase, Rachen etc. ihre Wirkstoffe (vornehmlich Nikotin) abgeben. Die Rede ist von Schnupf- und Kautabak, aber auch Snus, welches in Schweden eine hohe Popularität besitzt (und zum dortigen Schutz vor Raucherkrankheiten beiträgt). Die Studienlage ist bei manchen Gesundheitsrisiken etwas widersprüchlich, aber insbesondere dort wo lokale Reizungen/Entzündungen permanent auftreten, oder wo bedenkliche chemische Stoffe (z.B. tabakspezifische Nitrosamine) in Stoffwechselvorgänge eingreifen, muss zumindest von einer leichten Erhöhung des Gesundheitsrisikos ausgegangen werden. Dennoch ist bis jetzt kein Effekt so deutlich hervorgetreten, wie bei den vielen Erkrankungen, die mit dem Rauchen verbunden sind. Wahrscheinlich stellen „Nicotine Pouches“ das sicherste Produkte aus dieser Zunft dar, obgleich manche Varianten recht hoch dosiert sind und Menschen ohne Toleranz akut etwas überfordern können.
Snus trägt in Schweden zum Schutz vor Raucherkrankheiten bei
Bei den inhalativen Konsumformen gibt es ebenfalls Unterschiede. „Heated-Tobacco-Products“, also Tabakerhitzer, scheinen grundsätzlich mehr Schadstoffe zu emittieren als E-Zigaretten. Aber auch bei E-Zigaretten gibt es Unterschiede, je nach Zusätzen, Leistung, Oberflächenmaterialien etc. Wichtig ist zu verstehen, dass Gerät und Liquid im Realbetrieb untersucht werden müssen um bspw. schädliche Pyrolyseprodukte zu quantifizieren. Dass diese tendenziell in deutlich geringerem Maße vorhanden sind als in Tabakrauch, sollte nicht die Motivation schmälern eine „optimale“ E-Zigarette samt passendem Liquid zu identifizieren. Diese könnte sogar eine Grundlage für eine pharmazeutische Darreichungsform darstellen, d.h. eine E-Zigarette, die Menschen zur Raucherentwöhnung (idealerweise mit Erstattung) verschrieben werden kann. Diese E-Zigarette könnte dann nicht nur verschiedene Nikotinkonzentrationen beinhalten, sondern auch andere Wirkstoffe bezüglich anderer Indikationen; zum einen denkbar bei der Substitution (z.B. Kokain-E-Zigarette als Substitut für Crack) und zum anderen bei der selbstständigen Bekämpfung von akuten, starken Schmerzen, z.B. bei terminalem Krebs – hier wäre eine E-Zigarette mit Morphin als Wirkstoff denkbar. Aktuell scheint das Interesse der pharmazeutischen Industrie an der E-Zigarette aber recht gering zu sein. Hier gibt es scheinbar eher die Motivation jene Produkte, die traditionell einen gewissen DIY-Charakter besitzen, gesetzlich stark einzugrenzen. Wahrscheinlich fürchtet man eine Konkurrenzsituation zu den aktuell vertriebenen Pflastern, Kaugummis und Co.
Die E-Zigarette ist ein Produkt, das nicht nur Leben retten kann, sondern dies bereits tut
In Deutschland alleine sterben ca. 120.000 Menschen jährlich an den Folgen des Rauchens. Deshalb ist es wichtig zu vermitteln, dass es große Unterschiede bei den verschiedenen Nikotin-/Tabakprodukten gibt. Insbesondere die E-Zigarette hat sich als „Harm Reduction“-Device mit großer Akzeptanz als Alternative zum Rauchen entpuppt. Auch wenn ich nicht alle Trends begrüße (z.B. die höchst unökologischen Einweg-E-Zigaretten), sollte inzwischen unter Gesundheitsexpertinnen und -experten bekannt sein, dass die E-Zigarette ein Produkt ist, das nicht nur Leben retten kann, sondern dies bereits tut. Deshalb sollten Gesundheitspolitikerinnen und -politiker umso vorsichtiger sein, wenn sie mittels Gesetzen, Verordnungen und öffentlich geäußerten Meinungen die Verfügbarkeit und Akzeptanz negativ beeinflussen. Tabakrauch ist nicht das Gleiche wie Tabak und Tabak ist nicht das Gleiche wie Nikotin. Es ist wichtig sprachlich zu differenzieren und nicht den Nichtraucherschutz durch eine falsche Gleichstellung von höchst unterschiedlichen Produkten ad absurdum zu führen. Je früher Menschen zu weniger gefährlichen Produkten wechseln, desto geringer sind die individuellen Gesundheitsrisiken, aber auch die allgemeinen Gesundheitskosten, die durch das Rauchen verursacht werden.
Dr. Fabian Pitter Steinmetz
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- Dr. Steinmetz zur Wahrnehmung von Tabak, Rauch und Nikotin - 6. September 2023