Vom 21. bis 24. Juni 2023 fand in Warschau zum zehnten mal die Konferenz Global Forum on Nicotine (GFN) statt. Eingeladen waren Wissenschaftler, Journalisten und Verbände aus aller Welt, die sich mit dem Thema tabakbedingter Schäden durch das Rauchen und deren Alternativen beschäftigen. Übergeordnetes Motto der GFN 2023 war ein Rückblick auf die Schadensminimierung der letzten 10 Jahre, sowie der Ausblick auf die nächsten 10 Jahre. Für den BVRA waren Simon Bauer und Markus Ense vor Ort.
Die Veranstaltungen wurden meist live und in englischer Sprache übertragen, einige wenige auch in spanischer oder russischer Sprache. Sowohl online, als auch auf der Konferenz selbst gab es dafür Simultanübersetzungen. Alle Beiträge werden auf der GFN-Website publiziert. Besucher, die online zugeschaltet waren, hatten wie auch Plenarbesucher vor Ort, die Möglichkeit Fragen zu den Vorträgen zu stellen, die dann vom Moderator weitergeleitet und vom Podium beantwortet wurde.
Teilnehmende aus aller Welt
Sowohl die Vortragenden, als auch die Besucher und Gäste kamen aus allen Teilen der Welt. Abgesehen von der Antarktis waren alle Kontinente gut vertreten. Dabei wurde eines ganz deutlich: unabhängig vom Status der länderspezifischen Regulierungen ist die öffentliche Diskussion um die Schadensminimierung und der alternativen Produkte wie E-Zigarette, Tabakerhitzer oder Snus überall auf der Welt dieselbe. Es geht immer um Steuern, Verbote und starke Regulierung, begründet mit Jugendschutz oder Nichtraucherschutz. Es geht nie um das eigentlich Wichtigste: Gesundheitsschutz (Reduzierung der Risiken und Folgen aus dem Tabakkonsum) und steigende Raucherquoten in vielen Ländern.
Die beharrliche Weigerung der meisten Regierungen, einmal über den Tellerrand zu schauen, ließ alle Teilnehmer nur noch kopfschüttelnd zurück. Länder mit niedriger Raucherquote wie Schweden, Großbritannien, Neuseeland oder selbst Island beschreiten den Weg der Harm Reduction nun schon seit Jahren sehr erfolgreich und spürbar. Dennoch sind sie offenbar kein Vorbild für andere Länder, deren Tabakkontrollpolitik zu keinem nennenswerten Erfolg führt und oft nur das komplette Gegenteil erreicht (z.B. Deutschland oder Frankreich). Oder gar zu einem Aufblühen eines unkontrollierbaren Schwarzmarktes führt (z.B. Australien, Italien, Deutschland).
Prof. Dr. Bernd Mayer, Toxikologe an der Uni Graz, merkte schon vor einiger Zeit an: „Man kann das Dampfen so stark regulieren, wie man will. Es wird nie wieder verschwinden.“ Fast jeder Nutzer von E-Zigaretten ist ein ehemaliger Raucher. Er oder sie hat es damit geschafft, erfolgreich mit dem Rauchen aufzuhören. Und es geht allen damit deutlich besser, was auch die ärztlichen Untersuchungen dieser Patienten bestätigen. Deshalb wird man diese Option auch niemals ganz weg regulieren können. Jeder, der diese Methode der Harm Reduction einmal kennengelernt hat, wird auch mit Verboten nicht mehr darauf verzichten wollen. Es ist wie damals in der Prohibition in der 1920ern: wenn ich keinen Alkohol mehr kaufen kann, dann brenne ich ihn mir halt selbst. Oder kaufe beim „Kollegen“, der ihn herstellt.
Die Location
Alle Veranstaltungen fanden im Marriott Tagungshotel in Warschau statt. Die meisten Veranstaltungen, vor allem aber die großen Panels und Impulsvorträge fanden im sog. Ballroom statt. Dieser war in sechs Sektionen trennbar und es gab noch weitere drei zusätzliche kleine Konferenzzimmer auf der Etage. Das Foyer und die Außenterrasse waren der Meetingpoint aller Teilnehmer und bot mit Stehtischen, mehreren Kaffeevollautomaten, Säften, Wasser und ständig wechselndem Buffet eine abwechslungsreiche Pausengelegenheit. Von Snacks zum Frühstück über warmes Essen am Selbstbedienungsbuffet bis zum Kuchen am Nachmittag – es blieb wohl kaum ein Wunsch offen.
Die Konferenztechnik war sehr ausgefeilt und der Umbau zu kleineren Raumeinheiten ging in den Pausen zwischen den Beiträgen sehr schnell und nahezu unbemerkt. Alle Servicekräfte und Techniker im Hintergrund verdienten höchste Anerkennung für den reibungslosen Ablauf.
Tag 1
Die eigentliche Konferenz mit den Fachvorträgen war erst ab Tag 2 vorgesehen. Deshalb fanden am 1. Tag sog. Workshops statt. Zu einem Thema sprachen einige geladene Gäste und anschließend diskutierte man mit dem Publikum oder beantwortete eingereichte Fragen. Den Start machte ein Workshop, der sich mit der Umweltproblematik besonders der Disposables auseinander setzte. Dazu wurde ein griffiger Vergleich gezogen zu den umwelttechnisch ebenfalls sehr problematischen Kapseln der Kaffeemarke Nespresso.
Gleichzeitig berichtete nebenan eine Delegation von Politikern von den Philippinen, moderiert vom Vorsitzenden der philippinischen Konsumentenvertretung, über den politischen Krimi, der zur dortigen Legalisierung und Regulierung von E-Zigaretten führte. Es dauerte viele Jahre von einem Komplettverbot von E-Zigaretten bis zur jetzt sehr maßvollen Regulierung. Die Vorgänge dort zeigen aber auch, dass ein Verbot nicht endgültig sein muss weil es politisch irgendwann faktisch unhaltbar wird. Die Verbotsidee zerbrach einfach an der Nutzungsrealität im Land. Zwei der Panelteilnehmer waren am Gesetzgebungsprozess im philippinischen Parlament beteiligt und konnten sehr spannende und lehrreiche Einblicke bieten.
Das Highlight am 21.06. lieferte jedoch Clive Bates, einer der angesehensten Experten für Tabakkontrolle in UK. Bates nahm uns mit auf eine Zeitreise, die 2011 begann. Für jedes der kommenden Jahre wurde ein kurzes Video abgespielt, was in dem Jahr in Bezug auf Tobacco Harm Reduction und Regulierung passierte. Nach dem Einspieler hatte das Auditorium die Gelegenheit, eigene Erfahrungen einzubringen oder das Gezeigte mit Erlebtem zu erweitern.
Die Regulierungen in Australien waren in den verschiedenen Workshops genauso Thema wie die Regulierungen in Zentralasien, im Kaukasus oder im pazifischen Raum. Einige Workshops fanden zeitgleich statt, so dass man als Besucher nach Interessenslage selektieren musste.
Tag 2
Neben weiteren Workshops gab es vormittags ein offenes Treffen der Konsumentenorganisationen. Nach dem Vortrag von Martin Cullip, UK, der sich in einem Gastartikel in der Washington Times jüngst sehr kritisch über die WHO und deren Gesundheitspolitik geäußert hat, hatte wir mit anderen Konsumentenorganisationen Zeit, uns über Strategien auszutauschen.
Ab 14 Uhr startete das ISONTECH Forum, das fünfte internationale Symposium für die Entwicklung von alternativen Abgabesystemen zur Nikotinaufnahme. Im Foyer hatten deshalb zahlreiche Hersteller von Hardware, Snus oder Pouches einen Infostand. Die Besucher dieses Forums waren dann auch eher Entwickler und Geschäftsleute.
Um 18 Uhr schließlich eröffnete Jessica Harding als Vertreterin der KAC Communications in ihrer Ansprache ganz offiziell die Konferenz. Knowledge Action Change war der Veranstalter des GFN23 und wird über die Foundation for a Smokefree World und damit auch mit Stiftungsmitteln von PMI finanziert. Direkt im Anschluss startete Dr. Roberto Sussman, National University of Mexico, seinen bemerkenswerten Vortrag über die Auswirkungen von Junk Science auf die öffentliche Wahrnehmung und Diskussion. Der Beitrag war derart beeindruckend, dass wir den Autor baten, uns diesen für eine deutsche Übersetzung zur Verfügung zu stellen. Dr. Sussman willigte ein und wir werden diesen Beitrag zur Publikation im deutschsprachigen Raum aufarbeiten.
Für den Abend hatte der Veranstalter eine Gastronomie angemietet und sorgte für ein reichhaltiges Buffet und freie alkoholfreie Getränke im Rahmen einer gemeinsamen Party. Auch wenn man sein Bier oder Wein selbst bezahlen musste, so war es gerade dieses multinationale Come-Together-Flair und die Offenheit und Freundlichkeit jedes Einzelnen, an das man sich wirklich gern zurück erinnert. Alter, Geschlecht, Herkunft, Bildung, Erfahrung, all das war nicht von Bedeutung. Man fühlte sich erinnert an die Zeit, als die E-Zigarette in Deutschland noch neu war und sich eine erste Community gebildet hat.
Tag 3
In den Panels und Diskussionsrunden des dritten Tages ging es um die Politik der wissenschaftlichen Publikationen, Zugang zu wissenschaftlichen Veranstaltungen, Regulierung und Moral oder die Frage, wer eigentlich die Stakeholder in dem „Spiel“ sind. Die Vortragenden kamen erneut aus aller Herren Länder wie USA, England, Österreich, Australien, Polen, Vietnam, Indonesien, Neuseeland, Kanada, Schweiz, Irland, Indien und Spanien.
Abends fand ein Meet & Greet Treffen in einem weiteren angemieteten Restaurant abseits des Hotels statt, zu dem ganz speziell die Konsumentenverbände eingeladen waren. Natürlich haben wir in Warschau auch viele bekannte Gesichter vom europäischen Verband ETHRA getroffen und sind oft genug ins Gespräch gekommen.
Tag 4
Der Schlusstag startete mit einem wissenschaftlich medizinischen Vortrag darüber welche Auswirkungen das Nikotin auf unser Gehirn hat. Für Nichtmediziner war der Versuch dem zu folgen schon sehr sportlich. In den beiden Schlussbeiträgen ging es um Tabakkontrolle und den Ausblick auf die nächste Dekade der Harm Reduction. Das Schlusswort hielt um 15 Uhr einer der KAC-Direktoren (Paddy Costall) aus Großbritannien.
Fazit
Im Grunde ist die GFN Konferenz in Warschau das Gegenstück zur jährlichen Tabakkontroll Konferenz in Heidelberg. Während in Warschau die Tobacco Harm Reduction als eine der effizientesten Methoden zum Rauchstopp angesehen wird, setzt man in Heidelberg beim DKFZ und der WHO auf Verbotskultur. Harm Reduction bei der Tabakkontrolle wird diskreditiert als trojanisches Pferd der Tabakindustrie. Einladungen nach Warschau werden ignoriert. Offenbar verweigert man sich dem evidenzbasierten wissenschaftlichen Austausch und predigt am liebsten nur vor Bekehrten.
Eines jedoch haben beide Konferenzen gemeinsam: Ratlosigkeit. In Heidelberg war es die Feststellung, dass in Deutschland trotz aller Gegenmaßnahmen die Raucherquote drastisch gestiegen ist. Man erreicht über 80% aller Raucher mit keinem Argument und keiner Kampagne. Das führt in der Konsequenz leider nur zu noch mehr Rufen nach Verboten. In diesem Fahrwasser wird dann eben auch die E-Zigarette gleich mit ins Visier genommen. In Warschau ist es die Fassungslosigkeit, dass man ein nachweislich hervorragend geeignetes Produkt zum Rauchstopp (siehe Cochrane-Report) mit immer wieder neuen Kampagnen einfach ignoriert und kaputtreguliert.
Wir müssen miteinander und nicht übereinander reden!
Schuldzuweisungen sind bei Problemlösungen nicht hilfreich. Um alle Optionen zu nutzen, müssen wir in einem offenen Diskurs über alle gebotenen Möglichkeiten gemeinsam reden. Ohne Scheuklappen, ohne erhobenen Zeigefinger. Das einzige was zählt ist wissenschaftliche Evidenz!
Gastbeitrag von Gabriele Braun | Tobacco Harm Reduction – the next decade
Dieses Jahr feierte das GFN sein 10-jähriges Jubiläum mit dem Ziel, die vergangenen zehn Jahre zu reflektieren und auf die Zukunft zu blicken. Tobacco Harm Reduction ist eine Form der Schadensminimierung, die man bereits von Bestrebungen zur HIV/AIDS-Prophylaxe und Drogenbekämpfung kennt. Hier stellt sich die Frage, warum Gesundheitsbehörden und medizinische Fachgesellschaften Harm Reduction bei der Tabakprävention derart vehement ablehnen und sich weigern, fundierte wissenschaftliche Forschungsergebnisse anzuerkennen. Die Ergebnisse klinischer Studien werden ignoriert, gegenteilig interpretiert oder gar komplett totgeschwiegen, während wenig aussagekräftige biochemische und zellbiologische Daten aufgeblasen und ohne zu zögern auf den Menschen übertragen werden. Es ist nicht neu, dass die öffentliche Berichterstattung nur in Richtung Ablehnung und Abschreckung geht. Da mittlerweile wissenschaftlicher Konsens besteht, dass der Gebrauch von E-Zigaretten, Pouches und anderen alternativen nikotinhaltigen Produkten um ein Vielfaches weniger schädlich ist als das Rauchen, hat man in den vergangenen Jahren den Krieg gegen Tabakzigaretten auf einen Krieg gegen Nikotin erweitert. Offenbar benötigt Public Health dringend einen Feind, der die Fortführung des ideologisch motivierten Kampfs gegen unerwünschtes Verhalten erlaubt.
Es war sehr beeindruckend, wie viele fähige, anerkannte und angesehene Wissenschaftler erneut gewonnen werden konnten, die in ihren Beiträgen den Stand der Wissenschaft, neue Erkenntnisse und Lösungsansätze vorstellten. Eine der herausragenden Persönlichkeiten, die sich der Aufklärung über die biologischen Wirkungen und mögliche therapeutische Anwendung von Nikotin widmen ist Dr. Paul Newhouse (Director oft he Center for Cognitive Medicine, Department of Psychiatry, Vanderbilt Universitiy Medical Center). Seine Forschung konzentriert sich auf zentrale Wirkungen von Nikotin bei degenerativen Hirnerkrankungen und die Rolle von Nikotinrezeptoren bei normalen und gestörten kognitiven Funktionen. Im Zentrum seines Interesses steht die klinische Anwendung synthetischer Agonisten von Nikotinrezeptoren. Er wirkte mit vielen anderen anerkannten Wissenschaftlern an dem Film „YOU DONT KNOW NICOTINE“ von Aaron Biebert mit und erläuterte bereits damals die positiven Wirkungen von Nikotin bei kognitiven Störungen und anderen neuronalen Erkrankungen. In klinischen Studien konnte er zeigen, dass Nikotin vor Morbus Parkinson schützt und die Symptomatik von Patienten mit leichter kognitiver Beeinträchtigung verbessert. Auch bei Patienten mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Morbus Alzheimer konnte Paul Newhouse mit Nikotin therapeutische Erfolge erzielen. Seine neuesten Ergebnisse und Therapiekonzepte präsentierte der Neurowissenschaftler im Rahmen einer Podiumsdiskussion und in einem Vortrag.
Das nun das Nikotin zu einem vermeintlich hoch suchterzeugenden und potentiell tödlichen Nervengift deklariert wird, soll Raucherinnen und Raucher offenbar verunsichern und vom Umstieg auf weniger schädliche Produkte abschrecken. In öffentlichen Stellungnahmen kritisieren sogenannte Suchtexpert*innen, dass in Schweden Nutzer von Snus oder Nikotinbeuteln (Pouches) nicht zu den Rauchern gezählt werden, obwohl sie Nikotin konsumieren. Diese wahnwitzigen Äußerungen finden Gehör, was zutiefst erschreckend ist.
Resümierend kann man feststellen, dass das GFN23 eine durchweg gelungene Veranstaltung mit hochinteressanten Beiträgen, Workshops und einer Vielzahl anregender Gespräche war. Die Atmosphäre war von Gleichgesinntheit und Offenheit geprägt. Alle Teilnehmer*innen waren überaus engagiert, diskutierten, brachten sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten ein und konnten viele neue Erkenntnisse und Ideen mit nach Hause nehmen. Auch der Veranstaltungsort, das Marriott Hotel in Warschau, ist eine absolut gelungene Wahl. Der Wohlfühlfaktor war hoch, Bewirtung und Umgebung insgesamt ausgezeichnet. Als kleiner Höhepunkt fand am zweiten Tag ein gemeinsames Abendessen in einem tollen Restaurant statt, das dank des schönen Wetters auch im Freien genossen werden konnte und bis in die Morgenstunden andauerte.
Wir dürfen uns bereits heute auf das GFN24 freuen!
bvra
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