Begriff Tobacco Harm Reduction im wissenschaftlichen Kontext
Der Begriff Tobacco Harm Reduktion (wörtlich übersetzt: Reduzierung des Tabakschadens) bezeichnet eine Strategie für die öffentliche Gesundheit, um die mit dem Konsum von Tabakerzeugnissen verbundenen Gesundheitsrisiken für Einzelpersonen und die Gesellschaft insgesamt zu verringern. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Verhinderung von Schäden und nicht auf der Verhinderung des Nikotinkonsums. Sie bezieht sich auf den Ersatz von Nikotinprodukten mit geringerem Risiko:
- Umstellung auf pharmazeutische Nikotinersatzprodukte
- Umstellung auf elektronische Zigaretten
- Umstellung auf rauchfreie Tabakerzeugnisse (Snus)
- Umstellung auf erhitzte Tabakerzeugnisse (Iqos)
Geschichte der Schadensminimierung in der öffentlichen Gesundheit und der Tabakkontrolle
Schadensminimierung hat eine lange und erfolgreiche Geschichte. Beispiele hierfür sind:
- Sicherheitsgurtpflicht zur Verringerung von schweren Verletzungen bei Autounfällen
- Motorradhelmpflicht zur Verringerung der Schwere von Kopfverletzungen
- Sexualerziehung von Jugendlichen und Verteilung von Kondomen zur Vermeidung von ungewollten Schwangerschaften und sexuell übertragbaren Krankheiten
- Nadeltausch zur Minimierung von Ausbreitung von Krankheiten z.B. HIV/AIDS
- Methadon als Ersatz für Heroin
Diese Maßnahmen hatten immer eine öffentliche Diskussion zur Folge, wurden aber im Hinblick auf die öffentliche Gesundheit durchgesetzt und haben heute weitreichende Erfolge.
In der Tabakkontrolle sieht dies auf Grund vorheriger angeblicher „Schadensminimierung“ von der Tabakindustrie deutlich anders aus. So hat die Zigarettenindustrie mit der gefilterten Zigarette und Zigaretten mit vermindertem Teer- und Nikotingehalt jahrelang für besseren Gesundheitsschutz geworben, obwohl beide Varianten nicht weniger gefährlich waren. Diese Erfahrung und das Verhalten der Zigarettenindustrie im Allgemeinen haben bei vielen Wissenschaftlern zu einer Feindseligkeit gegenüber der Branche geführt. Da bei vielen Wissenschaftlern fälschlicherweise die Meinung vorherrscht, dass Produkte wie die E-Zigarette von der Tabakindustrie kommen, stellt dies ein großes Hindernis der Akzeptanz der Tobacco Harm Reduction dar.
Ein Beispiel, dass Tobacco Harm Reduction sehr viel bewirken kann, ist Schweden. Hier haben seit Jahrzehnten schwedische Männer das Rauchen durch SNUS ersetzt. Schweden hat 2016 mit 8 % die niedrigste Raucherquote bei Männern in Europa. Obwohl die Tabakprävalenz in Schweden bei 25 % liegt und somit nicht besonders niedrig ist, haben schwedische Männer das niedrigste tabakbedingte Sterblichkeitsrisiko in der EU. Im Gegensatz dazu weisen die schwedischen Frauen eine durchschnittliche Raucherquote und eine durchschnittliche tabakbedingte Sterblichkeit aus. Nur wenige schwedische Frauen konsumieren SNUS. Zahlreiche umfangreiche Untersuchungen haben ergeben, dass der Konsum von SNUS mit nur wenigen Gesundheitsrisiken verbunden ist. Die Verwendung von SNUS bei schwedischen Männern kann also als erfolgreiches Experiment zur Reduzierung von Tabakschäden gesehen werden.
Problem bei der Akzeptanz der Tobacco Harm Reduction
In der folgenden Tabelle sind die Probleme bei der Akzeptanz der Tobacco Harm Reduction aufgeführt, hier wird vom Autor die Unterscheidung von E-Zigaretten-Enthusiasten und Skeptikern aufgeführt. Die meisten Wissenschaftler werden sich zwar keiner dieser Gruppen zugehörig fühlen, wohl aber ein Tendenz zu der einen oder anderen Gruppe haben.
Unterschiede zwischen E-Zigaretten-Enthusiasten und Skeptikern
Tabelle 2.
Unterschiede zwischen E-Zigaretten-Enthusiasten und Skeptikern
Problem | Befürworter | Skeptiker |
1. Grad der Risikominderung | ≥ 95% | Unbekannt; wahrscheinlich viel < 95% |
2. Vorsorgeprinzip | Tobacco Harm Reduction erfordert die Unterstützung neuartiger Produkte | Zuerst muss (relative) Sicherheit und Wirksamkeit nachgewiesen werden |
3. Primäres artikuliertes Anliegen | Maximierung der Erwachsenen, die mit dem Rauchen aufhören | Minimierung der Risiken für Jugendliche |
4. Art / Ausmaß der Risiken für Jugendliche | Minimal; E-Zigaretten können das Rauchen ersetzen | Befürchtet erheblich: Tor zum Rauchen; Renormalisierung des Rauchens ; Auswirkungen auf die Entwicklung des Gehirns |
5. Auswirkungen auf das Aufhören von Erwachsenen | Potential, Millionen zu helfen | Kann das Beenden reduzieren |
6. Langfristige Nikotinsucht | Akzeptabel, wenn das Rauchen beseitigt wird | Inakzeptabel |
7. Zigaretten- und E-Zigarettenfirmen | Offen für die Arbeit mit ihnen | Nicht zu vertrauen |
8. Freier Markt | Starke Unterstützung | Sorgen sich um „Wilder Westen“ |
9. Wissenschaftliche Studien | Unterstützung / Diskreditierung | Unterstützung / Diskreditierung |
10. Produktregulierung | Bevorzugen eine begrenzte Regulierung, die die Innovation nicht stört | Unterstützen eine strenge Regulierung, um Sicherheit / Wirksamkeit zu gewährleisten |
11. Verbreitung von Informationen | Betonen das Potential zur Schadensminderung für erwachsene Raucher | Betonen die Risiken für Jugendliche und die Risiken des doppelten Verwendungszwecks für Erwachsene |
12. Richtlinien, z. B. Dampfen, wenn das Rauchen verboten ist; Aromen; Besteuerung | Standortbeschränkungen ablehnen; Geschmacksrichtungen unterstützen (um das Aufhören von Erwachsenen zu unterstützen); keine / niedrige Steuer | Standortbeschränkungen unterstützen; Aromen ablehnen (um die Attraktivität für Jugendliche zu verringern); MwSt. |
Hauptthemen der E-Zigaretten Debatte
Risiko der E-Zigarette im Vergleich zur Zigarette
Während die Befürworter der E-Zigarette auf den Bericht von Public Health England hinweisen, dass E-Zigaretten 95 % weniger schädlich sind als das Rauchen von Tabakzigaretten, betonen die Skeptiker hauptsächlich ein Risiko für kardiovaskuläre und nicht krebsbedingte Lungenerkrankungen.
Das Vorsorgeprinzip
Definition: „das Prinzip, dass der Einführung eines neuen Produkts oder Verfahrens, dessen letztendliche Auswirkungen umstritten oder unbekannt sind, widerstanden werden sollte“
Das Vorsorgeprinzip wird hauptsächlich dann angewendet, wenn die gefährdete Bevölkerung ansonsten gesund ist, mit dem Produkt oder Verfahren aber einer Gesundheitsschädigung ausgesetzt werden würde. Dies gilt bei E-Zigaretten für Nichtraucher und Jugendliche, nicht aber für Raucher.
Hauptanliegen von Befürwortern und Skeptikern
Während die Befürworter glauben, dass die E-Zigarette Millionen von Rauchern helfen wird von der Zigarette weg zu kommen und die Gefahr für Jugendliche als vernachlässigbar ansehen, sehen die Skeptiker hier die größte Gefahr. So wird von Skeptikern unter anderem immer wieder aufgeführt, dass der Gebrauch von E-Zigaretten zur Renormalisierung der Tabakzigarette bei Jugendlichen führen würde (Gateway Theorie/Hypothese). Auch die schädliche Auswirkung von Nikotin auf ein sich noch in der Entwicklung befindliches Gehirn wird immer wieder aufgeführt.
Diese Gefahr kann jedoch durch einen funktionierenden Jugendschutz minimiert werden.
Die Auswirkungen nationaler Einstellungen zu alternativen Nikotinabgabesystemen
Während man in Großbritannien die Rauchentwöhnung mit der E-Zigarette unterstützt und dort große Erfolge hat, werden in vielen anderen Ländern hauptsächlich die potenziellen Risiken stark hervorgehoben. Es werden die Risiken aber nicht im Vergleich zur Tabakzigarette gezeigt, dadurch entsteht bei der nicht informierten Bevölkerung der Eindruck, dass die E-Zigarette genauso oder gefährlicher als die Tabakzigarette ist.
Politik und Regulierung
Dampfen an öffentlichen Orten
Skeptiker fordern, dass das Dampfen überall dort verboten wird, wo auch das Rauchen verboten ist. Dies begründen sie damit, Menschen vor dem ausgeatmetem Dampf und Jugendliche vor dem Dampfen an sich zu schützen. Hier sehen die Befürworter eine geringes bis gar kein Risiko und glauben, dass das Dampfen an öffentlichen Orten das Umsteigen auf die E-Zigarette erleichtern würde.
Besteuerung
Hier befürworten die Skeptiker eine hohe Steuer um die Verwendung von E-Zigaretten durch Jugendliche zu verhindern, während die Befürworter für keine oder nur eine geringe Steuer sind um Raucher aufgrund der daraus resultierenden Preisdifferenz zum Umstieg zu bewegen.
Verbreitung von Informationen
In der öffentlichen Kommunikation dominieren die Skeptiker, wobei sie sich auf die vermeintlichen Risiken für Jugendliche und die Unsicherheit über die Risiken für erwachsene Raucher konzentrieren. Befürworter wünschen sich mehr Informationen über die relativen Risiken von E-Zigaretten. Sie glauben, dass eine Information der relativen Risiken mehr Raucher dazu bewegen würde umzusteigen.
Quellen
https://academic.oup.com/ntr/article/21/10/1299/4990310?login=true
Beate Muhly-Steinmüller im Auftrag des BVRA
bvra
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